Paul Jackson ist als Global Head of Asset Allocation Research bei Invesco tätig. Hier spricht er über den Einfluss von Kriegen auf das Börsengeschehen, die drohende Rezession, neue Anlagechancen und die Renaissance der Kerntechnik.
Manche sehen als Folge des Ukraine-Kriegs einen Wendepunkt erreicht für die Globalisierung in ihrer bisherigen Form. Sie auch?
Nicht wirklich, obwohl sie künftig anders aussehen könnte. Erstens werden wir weiter vom Handel profitieren wollen und offene Beziehungen zu vielen anderen Ländern unterhalten. Zweitens stellt die konzertierte Aktion gegen Russland eine globalisierte Reaktion dar. Eine NATO-Erweiterung ist denkbar und die NATO-Mitglieder könnten ihre Bündnisverpflichtungen künftig ernster nehmen.
Was ist mit den Warenströmen?
Die dürften weiter fließen, vielleicht aber in eine andere Richtung. So könnte China Europa als Energieabnehmer und Warenlieferant für Russland ablösen. Gleichzeitig könnte China die USA als Warenlieferant und Finanzierer ablösen. Der Nahe und Mittlere Osten wird vielleicht mehr Energie nach Europa und weniger nach China liefern.
Eigentlich hat sich die Wirtschaft in Europa von dem Pandemietief erholt. Jetzt aber riecht es vor dem Hintergrund des Krieges und den damit verbundenen Ängsten plötzlich nach Rezession. Welche Maßnahmen könnten für Abhilfe sorgen?
Auf das Wirtschaftswachstum in Europa wird der Krieg in der Ukraine sicherlich die stärksten Auswirkungen haben und einige Länder könnten in eine Rezession abgleiten. Das gilt insbesondere für die Länder, die Russland, Belarus und der Ukraine am nächsten stehen. Ich glaube nicht, dass die EZB hier irgendetwas bewirken kann. Daher wird jegliche Hilfe von den Regierungen kommen müssen. Im ersten Schritt wird die Hilfe für die Ukraine humanitäre, medizinische und militärische Hilfe für einen leichten fiskalischen Impuls sorgen. Mittelfristig könnten höhere Rüstungsausgaben expansiv wirken. Inwieweit das der Fall sein wird, hängt allerdings davon ab, wie diese finanziert werden. Die hohen Preise fossiler Brennstoffe zeigen, dass dringend alternative Energiequellen erschlossen werden müssen. Das könnte die Regierungen dazu veranlassen, geplante Investitionen in grüne Energie vorzuziehen und auszuweiten. Was Maßnahmen zur Abfederung der hohen Energie- und Rohstoffkosten für Haushalte und Unternehmen angeht, ist der Handlungsspielraum meiner Ansicht nach begrenzt. Eine Möglichkeit wären vielleicht höhere Sozialleistungen für einkommensschwache Haushalte.
Ganz allgemein steigt bei den Menschen wieder die Sorge um Sicherheit und Stabilität. Rückt der Klimaschutz vorübergehend wieder in den Hintergrund?
Das glaube ich nicht. Ein Teil der Lösung für die Problematik der europäischen Versorgungssicherheit wird darin bestehen, mehr eigene Energie zu erzeugen. Naturgemäß werden dadurch erneuerbare Energien und vielleicht auch die Atomkraft an Bedeutung gewinnen. Zusammen mit den hohen Kosten für fossile Brennstoffe dürfte das die Durchsetzung alternativer Kraftstoffe beschleunigen.
Welchen Einfluss haben Kriege grundsätzlich auf das Börsengeschehen?
In den vergangenen mehr als 100 Jahren haben Kriege an den Aktienmärkten zwar zumeist zu Verlusten geführt – letztlich sind diese aber in der Regel nicht so hoch ausgefallen, wie man vielleicht erwartet hätte. Das signalisiert meine Analyse der Wertentwicklung eines breiten US-Aktienindex während sechs großen Konflikten vom Ersten Weltkrieg bis zur Invasion im Irak im Jahr 2003. Im Durchschnitt der untersuchten Episoden gaben die Aktienkurse um 9 Prozent nach, bevor sie – in der Regel innerhalb von zwölf Monaten – die Talsohle erreichten und nach 15 bis 18 Monaten wieder auf ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt waren. Natürlich war jeder Konflikt anders, und es gibt keine Garantie, dass der Ukraine-Krieg dem historischen Muster folgen wird.
Rüstungsaktien wurden von zahlreichen Anlegern bisher eher mit spitzen Fingern angefasst. Jetzt scheint sich das zu ändern. Was heißt das für die Investment-Strategie von Fondgesellschaften wie Invesco?
Aktien aus dem Verteidigungssektor werden in ESG-Screening-Verfahren häufig ausgeschlossen. Dadurch ist diese Branche in den Investmentportfolios vieler Anleger bisher überhaupt nicht vertreten. Das war allerdings schon immer problematisch, da eine der wichtigsten Aufgaben einer Regierung darin besteht, ihre Bürger zu verteidigen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat deutlich gemacht, dass die europäischen Staaten mehr in ihre Verteidigung investieren müssen. Das stellt Anleger vor die schwierige Frage, ob diese Ausgaben als unethisch einzustufen sind. Ich würde vermuten, dass einige Anleger, die bisher nicht in diesen Sektor investiert haben, dies nun tun werden.
Bislang war auf den Anlegermärkten viel von Metatrends wie Digitalisierung, Mobilität, Ressourcenverknappung, Urbanisierung etcetera die Rede. Das Thema Sicherheit tauchte nur am Rande auf. Ein Fehler?
Ja und nein! In der Vergangenheit hieß es zumeist, die europäischen Staaten würden zu wenig für ihre eigene Verteidigung ausgeben und dass diese nicht gut organisiert sei. Haushaltszwänge machten es für die Regierungen jedoch schwer, Mittel in Ausgaben für Verteidigung zu lenken, wenn andere Anliegen dringlicher erschienen wie etwa alternde Bevölkerungen, Gesundheit oder der Klimawandel.
Mit welchen Konsequenzen?
Russlands Vorgehen erzwingt nun eine Neuordnung der Prioritäten. Dennoch werden die Ausgaben für das Militär immer noch geringer sein als die für das Gesundheitswesen und den Klimaschutz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Verteidigung ist also wichtiger, als wir dachten, wird aber durch andere, größere Trends in den Schatten gestellt.
Mancher fühlt sich aktuell außerhalb der gewohnten Komfortzone, Angst macht sich breit. Wie geht man mit einer solchen Situation am besten um?
Angst kann zu überstürzten Entscheidungen führen und verkürzt vermutlich auch unseren Anlagehorizont. Das ist bedauerlich, denn ich glaube, je kürzer der Anlagehorizont ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir Fehler machen. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass wir weniger kurzfristig denken und handeln, wenn wir glücklich sind. Es überrascht nicht, dass wir glücklicher sind, wenn wir höhere Einkommen und mehr Wohlstand haben – und mehr Sonnenschein (lacht). Vor allem aber macht es uns glücklicher, wenn wir freundlich mit anderen umgehen, und das ist etwas, das wir steuern können. Wenn das nicht hilft, sollte man die relativ gute langfristige Bilanz von Aktienanlagen bedenken: In der Betrachtung seit 1914 haben US-Aktien Anlegern zum Beispiel eine großzügige Risikoprämie gegenüber Anleihen geboten – in einem Zeitraum, der zwei Weltkriege, zwei Pandemien, die Weltwirtschaftskrise, die globale Finanzkrise und die Stagflation der 1970er Jahre umfasst.
Was sind die Themen, die UHNWIs aktuell am meisten umtreiben?
Das ist sicherlich individuell und je nach Rechtsordnung unterschiedlich, aber ich könnte mir vorstellen, dass Kapitalerhalt und Vermögensaufbau die häufigsten Anliegen sind. Nach der Verhängung von Sanktionen gegen russische Privatpersonen und dem Einfrieren ihrer Vermögenswerte dürfte die Sorge vor einer Enteignung – aus welchen Gründen auch immer – erneut aufkommen. Außerdem wird der jüngste Vorstoß von US-Präsident Biden eine Erinnerung daran sein, dass sich Steuersysteme ändern können, insbesondere wenn viele Regierungen verzweifelt nach neuen Einnahmequellen suchen.
Wie mache ich mein Portfolio krisenfest?
Ich glaube nicht, dass dies möglich ist, da mir keine Vermögenswerte bekannt sind, die in jedem Umfeld gut abschneiden. Ein Anleger denkt sich vielleicht, sich durch eine Anlage in einen bestimmten Vermögenswert gegen eine bestimmte Eventualität abgesichert zu haben, aber dann tritt genau das Gegenteil ein. Staatsanleihen mögen sicher erscheinen, aber wenn die Wirtschaft stark ist, können die Kurse sinken, wie das in den letzten Monaten geschehen ist. Ich halte Barmittel für einen hervorragenden Diversifikator durch ihre geringe Volatilität und niedrige Korrelation zu anderen Vermögenswerten. Aber ihr realer Wert sinkt, wenn die Inflation steigt. In Krisenzeiten ist die Versuchung groß, in sogenannte „Sichere Hafen“-Anlagen zu investieren. Viele dieser Vermögenswerte, wie zum Beispiel Gold, sind aber recht volatil und wenn die Krise abklingt, könnten Verluste entstehen. Ganz ehrlich, es mag zwar langweilig klingen, aber die aus meiner Sicht beste Absicherung ist immer noch die Risikostreuung – und ein langer Anlagehorizont, durch den sich kurzfristige Ausschläge besser bewältigen lassen.
Ihr wichtigster Tipp gegen die Inflation?
Meine eigenen Untersuchungen historischer Daten deuten darauf hin, dass es nur wenige Vermögenswerte gibt, die sich bei steigender Inflation gut entwickeln. Es heißt häufig, dass Rohstoffe in der Regel dann stark sind, wenn die Inflation hoch ist, aber ich denke, dass die Kausalität von den hohen Rohstoffnotierungen zur Inflation verläuft und nicht umgekehrt. Gold wird oft als Inflationsschutz genannt. Dafür müsste sich sein Verhältnis zur Inflation jedoch ändern. Seit der globalen Finanzkrise ist der Goldpreis tendenziell gesunken, wenn die Inflationserwartungen gestiegen sind. Die Kostendruckinflation kann für einige Unternehmen problematisch sein. Sobald die Inflation stärker um sich greift, dürften Sachwerte wie Aktien und Immobilien aber den besten Schutz gegen Inflation bieten.
Was haben thematische Investments traditionellen Aktienstrategien voraus?
Letztlich sind Themenstrategien nur eine andere Art, ein Portfolio zu organisieren, als nach Märkten, Sektoren, Faktoren und so weiter. Thematisches Investieren kann von Natur aus eine langfristige Perspektive fördern – was ich für gut halte –, birgt aber auch das Risiko, dass man undiszipliniert auf Trends aufspringt.
Welche Themenfelder sind aktuell besonders gefragt?
Vor dem Krieg in der Ukraine waren die geläufigsten Themen vermutlich grüne Revolution, Automatisierung, Digitalisierung, Gesundheit und Infrastruktur, wobei das Infrastrukturthema über Ausgaben für Anpassungen an den Klimawandel auch einen Klimabezug hatte. Durch den Krieg sind jetzt vielleicht die Themen Energiesicherheit hinzukommen, was einige der Ideen im Zusammenhang mit der grünen Revolution verstärkt. Aber auch Rüstungsausgaben sind hinzugekommen.
Gerade jüngere Anleger hoffen darauf, dass sie mit ihren Investments bei gesellschaftlichen Paradigmenwechseln eine positive Rolle einnehmen – und damit Teil der Lösung werden. Ist es naiv, so zu denken?
Ich halte das nicht für naiv. Auch das Boykottieren von Produkten kann wirkungsvoll sein. Tatsächlich lässt sich der vor dem Krieg in der Ukraine beobachtete Anstieg des Ölpreises auch mit den begrenzten Investitionen der Öl- und Gasunternehmen in Förderaktivitäten erklären, die wiederum auch eine Reaktion auf den ESG-Druck waren. Wir kritisieren die jüngere Generation oft dafür, dass sie nicht wählen geht, aber sie kann mit ihren Füßen abstimmen, das heißt mit ihren Konsum- und Anlageentscheidungen.
Gesellschaften wie Invesco haben durch die riesigen Investitionsvolumen die Kraft, gezielt in Unternehmen zu investieren, die die Welt zum Guten zu verändern. Können Sie da ein paar Beispiele nennen?
Wir ziehen es vor, nicht über die Zusammensetzung von Kundenportfolios zu sprechen. In meinen Analysen zum Klimawandel zum Beispiel habe ich aber versucht, die Aufmerksamkeit der Leser auf Unternehmen und Sektoren zu lenken, die durch die Entwicklung neuer Technologien einen positiven Beitrag leisten. Dazu gehören etwa Elektroflugzeuge, Klimasysteme mit Solar-, Wasserkraft- oder elektromagnetischem Antrieb, Kryobatterien, Stromübertragungssysteme über große Entfernungen, Kohlenstoffabsaugung aus der Atmosphäre und andere mehr.
Wie steht das im Einklang mit dem Renditedruck?
Ein Unternehmen, das eine Lösung für ein drängendes reales Problem findet, hat meiner Ansicht nach gute Chancen, auch gute Renditen für seine Aktionäre zu erwirtschaften. Das eine muss das andere nicht ausschließen.
Die EU stuft Atomkraft als grüne Energie ein. Steht uns eine Renaissance dieser Technologie bevor?
Die kurze Antwort lautet ‚ja‘, aber das ist ein komplexes Thema. Kernkraftwerke haben, wie andere Gebäude auch, einen Kohlenstoffgehalt. Einmal in Betrieb emittieren sie aber nur relativ geringe Mengen an Treibhausgasen. Das Problem waren aber schon immer die Umweltrisiken, die mit einem Unfall verbunden wären. Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima sind Beispiele für Unfälle, die solche Schäden zur Folge hatten oder bei denen sie nur knapp abgewendet werden konnten. In jüngster Zeit waren russische Bombenangriffe auf Atomkraftwerke in der Ukraine eine beängstigende Aussicht, die deutlich gemacht hat, wie fragil diese Strukturen sein können. Insgesamt glaube ich, dass wir eine Renaissance der Kerntechnik erleben werden, da sie eine von vielen Lösungen für die aktuelle Klimakrise ist. Sie ist aber nicht risikolos – und auch nicht kurzfristig umsetzbar.
Sind sogenannte Green Bonds eine interessante Anlagechance?
Die Finanzierung grüner Projekte kann genauso gut für das soziale Gewissen sein, wie der Kauf von Kriegsanleihen als patriotisch galt. Ob sie gute Renditen abwerfen, dürfte eher vom Verhalten des Anleihemarktes – also der Frage, ob die Renditen steigen oder fallen – und von der Tragfähigkeit der finanzierten Projekte abhängen. Die jüngsten Wertverluste derartiger Anleihen – gemessen an Indizes wie dem Bloomberg MSCI Global Green Bond Index – sind vermutlich auf den Anstieg der weltweiten Anleiherenditen zurückzuführen. Ich vermute, dass diese Renditen weiter steigen werden, sofern es nicht zu einer Rezession kommt. Dadurch könnten die meisten Anleihen negative Gesamtrenditen abwerfen.
Luxusgüter gibt es immer häufiger auch im Abomodell: Was halten Sie von der Sharing Economy? Lohnt es sich, hier einzusteigen?
Dazu habe ich keine Meinung.
Welche Luxusunternehmen halten Sie als Investment derzeit für besonders aussichtsreich?
Ohne Namen zu nennen, könnte der anhaltende Kaufkrafttransfer von den Energieverbrauchern zu den Energieerzeugern den Konsum von Luxusgütern und -dienstleistungen gegenüber Waren in unteren Marktsegmenten begünstigen. Meinen Berechnungen zufolge erhöht jeder Anstieg des Ölpreises um 10 Dollar die weltweiten Energiekosten um 325 Milliarden Dollar, und das gleiche gilt bei einem zehnprozentigen Anstieg des Gaspreises. Das bedeutet einen Transfer dieses Betrags an die Energieerzeuger. In vielen Ländern zwingt die Lebenshaltungskostenkrise die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala de facto dazu, schwierige Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie sich mit dem Nötigsten versorgen. Dafür dürften kleine Luxusausgaben geopfert werden. Gleichzeitig werden sich die Einnahmen der Energieerzeuger wahrscheinlich auf wenige Hände konzentrieren. Das könnte die Nachfrage nach hochwertigen Immobilien, Jachten, Sportwagen und Prestigeobjekten wie Fußballvereinen ankurbeln.
Der Markt der Oldtimer ist rückläufig, auch andere Sachwert-Kategorien hatten schon stärkere Phasen, von Whiskey mal abgesehen. Sehen Sie gewisse Ermüdungserscheinungen, was die Begehrlichkeit von Prestigeobjekten betrifft?
Ich glaube, dass die geldpolitische Reaktion auf die Pandemie die Assetpreise in die Höhe getrieben hat, da die Zentralbanken Vermögenswerte gekauft haben, Kredite leicht erhältlich – und billig – waren und die Regierungen den privaten Haushalten und Unternehmen kräftig unter die Arme gegriffen haben. Viele dieser Maßnahmen, die die Assetpreise gestützt haben, werden jetzt zurückgenommen. Die sehr Reichen werden jedoch kaum auf Kredite angewiesen sein. Und, wie bereits erwähnt, könnte die Nachfrage nach Prestigeobjekten aus den energie- und rohstoffproduzierenden Ländern steigen. Wobei es natürlich eine Ausnahme gibt: In vielen der Orte, an denen diese Luxusimmobilien zu finden sind, ist russisches Geld nicht mehr willkommen.
Wie schätzen Sie aktuell die Attraktivität der Biotechnologie-Branche ein?
Interessanterweise hat sich der Biotechnologiesektor trotz der Pandemie seit Mitte 2015 schlechter entwickelt als der breite US-Markt, obwohl er zuvor mehrere Jahrzehnte lang eine überdurchschnittlich gute Performance verzeichnet hatte. Mitte 2015 lag das zyklusbereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis des US-Biotech-Sektors bei rund 53 und war damit etwa vier Mal so hoch wie das des Gesamtmarktes. Heute liegt es bei rund 20, was dem Marktdurchschnitt entspricht. In Anbetracht seines meines Erachtens überdurchschnittlichen Wachstumspotenzials erscheint der US-Biotech-Sektor daher im Marktvergleich aktuell relativ attraktiv. Es gibt jedoch ein Problem: Theoretisch sollten Wachstumsaktien unter Druck stehen, wenn die Anleiherenditen steigen. Das ist auch ein Grund für die schlechte Performance in diesem Jahr. Ich vermute, dass die Anleiherenditen weiter steigen werden und es daher noch einige Zeit dauern könnte, bis Biotech zum Outperformer wird.
Die Zukunft ist ungewiss. Auch was das Thema Elektromobilität betrifft. Was erwarten Sie von dieser Branche?
Dies ist eindeutig der Weg in die Zukunft und ich halte diesen Trend für unumkehrbar. Was den Automobilsektor für sich genommen angeht, habe ich allerdings Zweifel an der Rentabilität von Anlagen in diesem Sektor. Meine Sorge gilt dem Bewertungsniveau der weltweiten Automobilsektorindizes, da wir mit Blick auf die Höhe der Aktienkurse aktuell viel mehr pro verkauftem Auto zahlen als vor der Pandemie. Vermutlich liegt das am Elektrothema, aber soweit ich weiß, ist die Herstellung von Elektrofahrzeugen nicht rentabler als die herkömmlicher Autos. Ein Fall von „tolles Konzept – falscher Preis“, wenn Sie mich fragen.
Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland ist 2021 auf 7,7 Billionen Euro gestiegen – häufig geparkt in renditeschwachen Anlageformen wie Sparbüchern. Berechtigte Vorsicht, Misstrauen gegenüber Finanzdienstleistern oder einfach nur Überforderung?
Der Anstieg der privaten Ersparnisse während der Pandemie ist ein globales Phänomen. Meiner Ansicht nach hat das auch zu mehreren Kursblasen beigetragen, zum Beispiel bei Kryptowährungen. Liquidität kann ein großartiger Diversifikator sein und es ist immer sinnvoll, eine ausreichende Liquiditätsreserve für opportunistische Anlagen zu haben, wenn die Kurse anderer Vermögenswerte sinken. Ich vermute jedoch, dass die hohen Bareinlagen in Deutschland auf ein generationsbedingtes Misstrauen gegenüber den Finanzmärkten zurückzuführen sind, das zusammen mit einer Loyalität gegenüber den Banken dazu führt, dass Anleger andere Chancen verpassen.
Gibt es einen Unternehmer, eine Unternehmerin, vor dem Sie besonders großen Respekt haben, und warum?
Ja, meine Frau. Sie denkt visionär und erschafft Dinge aus nichts.
Was ist Ihr wertvollster privater Besitz?
Abgesehen von meinem Haus und meinem Auto vermutlich meine neue Fender Stratocaster Gitarre. Und, wenn wir mal vom Geldwert absehen, alles, was mir von meinen Kindern geschenkt wird.
Sammeln Sie?
Keine Wertgegenstände, aber ich sammele Erinnerungsstücke aus meinem Leben. Es fällt mir schwer, Dinge wegzuwerfen, die einen sentimentalen Wert haben.
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen und warum?
Momentan lese ich die Ilias von Homer. Ich benutze sie und die Odyssee als Hintergrund, bevor ich mich wieder an Ulysses von James Joyce versuche. Das letzte Buch, das ich gelesen habe, war Rage von Bob Woodward, das auf seinen Interviews mit Donald Trump basiert. Wie erwartet, habe ich dadurch interessante Einblicke erhalten, wie das Weiße Haus unter Trump funktioniert hat – oder auch nicht.
Was würden Sie gern erfinden?
Mehr Zeit mit meiner Familie.
INTERVIEW//THOMAS GARMS FOTOS//HARVEY SMITH-DOLAN
ZUR PERSON
Als Global Head of Asset Allocation Research bei Invesco analysiert und kommentiert Paul Jackson makroökonomische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. Vor seinem Eintritt bei Invesco arbeitete Jackson in Paris und London für Société Générale als Macro Specialist Sales, Aktienstratege und Head of Research. In dieser Position veröffentlichte er unter dem Titel „The Belgian Dentist“ regelmäßig Marktkommentare. Jackson begann seine Laufbahn bei Morgan Stanley in London. Dort war er im Bereich Corporate Finance und im Aktienresearch tätig, bevor er nach New York ging, um bei Morgan Stanley Asset Management als Portfolio-Manager zu arbeiten. Jackson hat einen Bachelor of Science in Wirtschaftswissenschaften von der London School of Economics und einen Master of Philosophy in Wirtschaftswissenschaften von der Universität Oxford.
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