Es tut mir leid, dass ich Ihnen das eröffnen muss, aber Deutsche sind in der Regel nicht besonders gut im Bett. Wie eine weltweite Studie der National Sleep Foundation herausgefunden hat, können nämlich nur klägliche 40 Prozent nachts gut schlafen. Das ist der niedrigste Länderwert, der in der Studie gemessen wurde. Eine beunruhigende Statistik, hat doch der Schlaf einen entscheidenden Einfluss auf unsere Gesundheit. Wer andauernd schlecht schläft, hat tagsüber daran zu knabbern. Schlafmangel wirkt sich negativ auf alle Lebensbereiche aus – auf den gesundheitlichen Allgemeinzustand, das Gewicht, die Leistungsfähigkeit und die Lebensdauer.
Bevor Sie nun anfangen, Walgesänge herunterzuladen oder wie verrückt Schafe zu zählen, greifen Sie lieber zu den bedeutend praktischeren Lösungen eines Mannes aus Zentralschweden. Marcus Ryde leitet in der 6. Generation die Firma Hästens, ein Unternehmen, das seit 1852 Betten produziert. Wissenschaft und handwerkliche Tradition wirken hier einträchtig zusammen, um Schlafträume in blau-weißem Karomuster wahr werden zu lassen. Ryde hat eine Mission: Die Welt soll den Schlummer wieder richtig wertschätzen. Und das beginnt bei den Basics. „Ein Bett ist das wichtigste Möbelstück, das Sie jemals anschaffen werden“, erklärt er mit gewichtigem Bariton und schwedischem Freimut. „Und das richtige Bett wird Ihr Leben verändern.“
Bei Preisen, die sich von 6.000 Euro bis zu einem sechsstelligen Betrag hochschrauben, will ich das auch hoffen. Tatsächlich liegt das neueste Top-Modell „Vividus“ bei schlappen 128.000 Euro und entspricht somit dem dreifachen durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Bundesbürgers. Dieses Biest ist eine Weltneuheit, ein Triumph der Ingenieurskunst, ein Design-Durchbruch, das Rockstars, Royalties und Holywood-Ikonen ihr Eigen nennen.
„Vividus begann als kreatives Experiment, das eigentlich nicht von der Startrampe abheben sollte“, gibt Ryde zu. „Wir sprengten alle Grenzen und ließen unserer Vorstellungskraft freien Lauf, um das beste Bett der Welt zu erschaffen.“
In der Hästens-Traumfabrik in Köping geschieht das Wunder. 150 Handwerksmeister fertigen hier die elf Modelle buchstäblich in Handarbeit. In einem Raum türmt sich ein gigantischer Haufen fest gespulten Rosshaars, das darauf wartet, entflochten und in Lagen geschichtet zu werden – von Hand. In einer anderen Abteilung setzen Möbelschreiner die Bretter von langsam wachsenden nordischen Kiefern zusammen und fixieren sie mit wunderschönen Schwalbenschwanzverbindungen. Daneben werden Matratzen ganz exakt mit endlosen Lagen von Baumwolle, Rosshaar und Flachs gefüllt. Im ersten Stock nähen, steppen und schneiden Frauen mit flinken Fingern den ganzen Tag und machen nur eine Pause um sich von Zeit zu Zeit gegenseitig eine wohlverdiente Massage zu geben.
Doch selbst diese erfahrenen Handwerker kommen nicht einmal in die Nähe des Vividus. Nur die fähigsten Mitarbeiter, die über ein Jahr von Handwerksmeister Jan-Erik Leander ausgebildet wurden, dürfen sich an dieses Bett heran wagen. Vividus ist Leanders Werk. Er verbrachte drei Jahre damit, jedes Detail genauestens abzustimmen und duldete keine Kompromisse und keine Einschränkungen bei der ultimativen Bewährungsprobe aus „Geduld, Praxis und Disziplin.“
Das Vividus-Bett ist ein Promi, eine Berühmtheit, die mit Ehrerbietung behandelt wird, und eine eigene Abteilung in der Bettenwerkstatt beansprucht. Jan-Erik und seine Elite-Truppe wenden 320 Mann-Stunden für jedes Bett auf, was der Arbeit von vier Monaten entspricht. Als Einzelanfertigung nach Kundenwunsch aus 210 Kilogramm Naturmaterialien gefertigt, ist Vividus gleichsam ein Kunstwerk. Ich will Ihnen eine Vorstellung von dieser obsessiven Detailverliebtheit vermitteln: Der Bezugsstoff für jedes Vividus-Bett muss von ein und derselben Rolle stammen. Er wird genau drei Tage zum „Atmen“ aufgehängt. Die Sprungfedern werden von Hand siebenfach festgeknüpft. Und das fertige Produkt wird von dem letzten Handwerker, der daran Hand angelegt hat, mit seinem persönlichen Signet verziert. Kommt es nur zu einer Minute Verzögerung im gesamten Prozess, wird wieder ganz von vorn angefangen. „Sie werden es nicht oft erleben, dass Dinge auf diese Weise hergestellt werden“, sagt Jan-Erik liebevoll, und ich muss ihm zustimmen. Die Leidenschaft, die handwerkliche Fertigkeit und die Integrität, die hier zum Tragen kommen, scheinen schier unfassbar – und ich schon hin und weg. Wenn Ihnen der Gedanke, 128.000 Euro für ein Bett zu bezahlen, schlaflose Nächte bereitet, dann bedenken Sie: Im Schnitt verbringen wir 229.961 Stunden unseres Daseins mit Schlafen, was ungefähr 26 Jahren, also einem Drittel unseres Lebens entspricht. Zählt man den ungeheuren gesundheitlichen Nutzen dazu, den wir aus tiefem Schlummer ziehen, dann wirkt die Rendite dieser Investition nicht mehr ganz so absurd. Nun, da ich überzeugt bin, dass mir Vividus Super-Kräfte verleihen wird, würde ich meine Großmutter verkaufen, um eines dieser Betten in die Finger zu bekommen. Absoluter Wahnsinn, aber das ist es, was eine Fabrik voller leidenschaftlicher Handwerksburschen in einer Frau auslöst.
Im Hästens Flagship-Store in Stockholm ist es nun endlich Zeit für mich, selbst das Bett auszuprobieren. Vividus ist bei Weitem das teuerste Modell, aber das bedeutet nicht, „dass es das beste Bett für dich ist“, wie Ryde meint, der selbst auf einem „Superior“ schläft.
Alle Kunden werden dazu ermuntert, auf den Modellen Probe zu liegen, bevor sie ihre endgültige Entscheidung treffen. Da schläft man sich am besten von „unten“ hoch. Zwar bin ich versucht, nach dem Vorbild von Linda Evangelista in kein Bett unter 100.000 Euro zu steigen, dennoch füge ich mich der Anordnung. Bei gedimmtem Licht (ganz auf meine Bedürfnisse abgestimmt) und ausgerüstet mit einer Schlaf-Playlist von „Audio-Architects“ springe ich von einem Bett zum anderen. Und während ich mich auf zehn verschiedene Betten mit unterschiedlichen Matratzeneigenschaften (fest, medium und weich) lege, beobachten die Verkäufer den Rhythmus meines Körpers in verschiedenen Schlafpositionen und geben mir Ratschläge, welche wohl die optimale Kombination für mich sei.
Jedes Bett ist auf seine Art göttlich und entlockt mir Geräusche, die eigentlich anderen Schlafzimmer-Aktivitäten vorbehalten sind. Und dann knacke ich den Jackpot! Zusammengerollt auf dem „2000T“ mit Medium-Matratze habe ich das Gefühl, die Schlafstatt ist mein inkarnierter Seelenverwandter. Ich verlasse sie mit einem Stoßseufzer für eine letzte Ruhestätte im Vividus. Glauben Sie mir, dieses Bett hat seine eigene Energie. Wie eine Umarmung, in der sich Kraft, Verführungskunst und Stil vereinigen, ist Vividus der reinste Casanova, ein echter Schwerenöter. Ich winde und wälze mich darin, denn dieses Bett soll es sein. Immerhin habe ich einen teuren Geschmack. Nach zehn Minuten Gewissensprüfung fällt meine Entscheidung: Vividus, du bist wundervoll, aber Baby, mein Herz gehört 2000T (ein Schnäppchen für 38.500 Euro). Während ich mich wieder in die Arme meines Liebsten fallen lasse, werde ich mit einem neuen Problem geschlagen. Hästens mag ja die Lösung haben, welches das perfekte Bett für mich ist, ich fürchte jedoch, es wird eine viel schwierigere Aufgabe sein, mich da wieder heraus zu bekommen.
Text: Olivia Palamountain
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