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Schöne Aussichten
By Editorial Department access_time 9 min read

Segel setzen und dem Alltag entfliehen: Den Urlaub auf einer Sea Cloud zu verbringen, ist Reisen im ursprünglichen Sinne.

Mit einem beherzten Schritt steigt Natalie in die Wanten der Sea Cloud. Diese Leitern aus Drahtseilen und hölzernen Sprossen führen vom Deck bis an die Spitze der vier, bis zu 56 Meter hohen Masten des stolzen Windjammers. Die junge Portugiesin studiert an der legendären Seefahrtsakademie von Sagres an der Algarve Nautik. Während eines Praxissemesters fährt sie derzeit als Matrosin auf dem Flaggschiff der Hamburger Reederei Sea Cloud Cruises. Mit atemberaubendem Tempo ist sie auf dem Weg nach oben, zur Spitze des höchsten Masts des 90 Jahre alten Großseglers.

Die Sea Cloud in ihrer ganzen Pracht.

Alle Segel sind bereits gesetzt; nur das oberste muss noch gelöst und in den Wind gebracht werden. Knapp 56 Meter über der Wasserlinie befindet sich dieses „Sky-Segel“, wie es Seeleute nennen, weil es den Himmel zu berühren sein. Natalie ist das „Sky-Girl“, also jene Frau in der Crew, die für dieses Segel verantwortlich ist. „Wir nennen sie auch die Katze“, sagt Kapitän Evgeny Nemerzhitskiy mit einem anerkennenden Ton in der Stimme, während Natalie geschickt und schnell den Mast erklimmt. Nur wenige Minuten dauert es, bis der Wind in das Sky-Segel bläst. Und während Natalie routiniert den Weg über die Wanten nach unten einschlägt, brandet auf dem Achterdeck der Sea Cloud Beifall aus. Die Gäste an Bord haben das Geschehen mit angehaltenem Atem verfolgt. Ihre Bewunderung für die mutige Seefahrerin ist fast mit Händen zu greifen.

Die jungen Matrosen vertäuen ein Vorsegel am Klüverbaum der Sea Cloud.

Solche Szenen gehörten im ausgehenden 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert zum Alltag auf den Weltmeere – allerdings noch ohne Frauen in der Besatzung und ohne applaudierende Gäste an Bord. Stolze und schnelle Windjammer schufen die Verbindung zwischen den Kontinenten und die Basis des beginnenden Welthandels. Die Sea Cloud, ihre jüngere Schwester Sea Cloud II und die gerade neu gebaute Sea Cloud Spirit segeln in dieser Tradition nach denselben Regeln klassischer Seemannschaft und doch mit einem hoch interessanten Unterschied: Alle drei Schiffe haben Passagiere an Bord und bieten ihnen neben einem Komfort auf Fünf-Sterne-Niveau vor allem etwas ganz Besonderes: „Mit uns die Welt zu entdecken, bedeutet Reisen im ursprünglichen Sinn“, sagt Reederei-Geschäftsführer Daniel Schäfer. Auf den Sea Clouds wird der Weg zum Ziel; die schönste Aussicht des Tages ist der entspannende Blick über das Meer auf dem Horizont; der Wind und die Wellen bestimmen Rhythmus und Tempo des Tages; die Landausflüge sind tatsächlich persönliche Entdeckungsreisen.

Gediegene Eleganz bestimmt den wunderschön eingedeckten Speiseraum.

Die Sea Clouds fahren mit einer kleinen Zahl von Gästen, bis zu 64  sind es auf der Sea Coud, maximal 136 auf der Sea Cloud Spirit, dem neuesten und größten Schiff in der Flotte. Das Faszinierende dabei: Die Reisenden, die sich am Anfang fremd sind, werden in kurzer zu Weggefährten, die sich mit jeder zurückgelegten Seemeile mehr und mehr zu Freunden entwickeln. Wer die Charakteristika klassischer Kreuzfahrten wie buntes Entertainment, lärmende Fröhlichkeit und standardisierte Massen-Unterhaltung sucht, ist auf den Sea Clouds falsch.

Blick in den Maschinenraum mit vielerlei Armaturen.

Der gediegene Luxus und Komfort auf den drei Windjammern hat seine Wurzeln in einer Ära, die mit ähnlich großen Unwägbarkeiten verbunden war wie die heutige Zeit. Der New Yorker Wertpapierhändler Edward Francis Hutton ließ das Schiff 1931 auf der Germaniawerft in Kiel als Geschenk für seine Frau Marjorie Merriweather Post bauen.

Der New Yorker Wertpapierhändler Edward Francis Hutton ließ das Schiff 1931 auf der Germaniawerft in Kiel als Geschenk für seine Frau Marjorie Merriweather Post bauen.

Die erfolgreiche Unternehmerin und Inhaberin des Nahrungsmittelkonzerns General Food liebte die Viermastbark. Mit einem untrügerischen Gespür für den besonderen Charakter dieses Windjammers sammelte sie in aller Welt wertvolles Interieur, das sie in einem eigens in Brooklyn angemieteten Lagerhaus zu den Kabinen für sich und ihre Gäste zusammenstellte. So entstand die größte und luxuriöseste Privatyacht der 1930er Jahre. Doch der engagierten Managerin ging es nicht allein um eine exklusive Kulisse für ihre Feste im Kreis von Stars, Prominenten und Politikern – die Sea Cloud war für die Eignerin auch eine Frage der Sicherheit und des Wohlbefindens vor allem für ihre Tochter „Deenie“ (die später als Dina Merrill unter anderem an der Seite von Gary Grant und Tony Curtis Kino-Karriere machte). „Sie haben gemeinsam viele Jahre an Bord der Sea Cloud in der Karibik verbracht“, weiß der Amerikaner und langjährige Kreuzfahrtdirektor des Schiffes, Tom Hook.

Täfelungen, Himmelbett und Gaskamin: Die ehemalige Eignerkabine ist mit wertvollem Interieur ausgestattet.

Allerdings: Der Kurs der Sea Cloud von damals zum heutigen Fünf-Sterne-Windjammer verlief nicht gradlinig. Diplomatischer Außenposten der USA in der damaligen Sowjetunion, Vorposten- und Wetterschiff der US Navy im Zweiten Weltkrieg, Partydampfer und Vergnügungszentrum eines karibischen Diktators, dann der langsame Abstieg bis zum Wrack-ähnlichen Zustand im Hafen von Colón (Panama), aus dem die Sea Cloud von einer Gruppe Hamburger Kaufleute gerettet und nach Deutschland gebracht wurde. Ihnen und den nachfolgenden Gesellschaftern aus den Schifffahrtskreisen der Hansestadt ist es zu verdanken, dass das Erbe Marjories sorgfältig restauriert und dauerhaft erhalten wurde.

Waschbecken des Eigener-Bads mit einem goldenen Schwan als Armatur.

Die zehn Original-Suiten sind weitgehend wieder eingerichtet worden; die bei einem behutsamen Umbau zusätzlich geschaffenen Kabinen interpretieren die historische Handschrift in einer moderneren Form. Und wieder hat die Sea Cloud etwas Faszinierendes, Einzigartiges: auch nach Jahrzehnten geht von ihr der Zauber aus, den Marjorie der segelnden Wolke eingehaucht hat. „Dieses Schiff umschmeichelt seine Gäste, ohne dass man genau ausmachen kann, woher das kommt“, sagt Hotelmanager René Kronsteiner, den es wie viele seiner Kollegen nach einer erfolgreichen Karriere in der europäischen Spitzen-Hotellerie vor Jahren an Bord der Sea Cloud geführt hat.

Stimmungsbild auf der Brücke. Kaffee für die Offiiziere ist ein wichtiger Muntermacher.

Diesen Zauber spüren auch die sofort, die niemals zuvor an Bord waren. „Wir sind vorher noch nie auf einem Schiff gefahren“, erzählt ein Ehepaar, das sich kurz vor dem Boarding in Dubrovnik als Unternehmerfamilie aus Schwaben vorgestellt hat, „aber als wir die Sea Cloud das erste Mal auf Sardinien gesehen haben, wussten wir: Entweder reisen wir mit diesem Schiff oder wir werden nie zur See fahren.“ Jetzt sind sie seit zehn Minuten an Bord – und das Staunen in den Augen der beiden wird immer größer: „Die Sea Cloud hat eine Seele“, sagt der Mann, „ich spüre es schon sehr deutlich.“ Seit Ende der 1970er Jahre hat die Sea Cloud damit Tausende von Gästen bezaubert.

Die Zweite Offizierin steckt am Kartentisch den Kurs ab.

Nachdem es der Reederei Sea Cloud Cruises gelungen war, diese Seele auch der 2001 in Dienst gestellte Sea Cloud II einzuhauchen, haben die Hamburger gerade zum dritten Wurf angesetzt: Mit der Sea Cloud Spirit geht jetzt ein nagelneues Dreimast-Vollschiff auf Reisen, dessen Name Programm ist: „Als moderne Interpretation unseres Flaggschiffs überträgt sie den Geist der Sea Cloud auf eine neue Ära unter Segeln“, ist Daniel Schäfer überzeugt.

Die Sea Cloud ankert vor einem karibischen Strand.

Die Eigner verlassen sich allerdings nicht nur auf den Mythos, sondern haben auch ein klares Konzept für den anhaltenden Erfolg ihre jetzt drei Schiffe. Von Beginn setzten sie auf einen sanften Tourismus mit dem Wind als Antrieb auf Kursen abseits der großen Kreuzfahrtrouten, bei jeder Reise begegnen sie den Menschen und ihrer Kultur in den besuchten Destinationen mit Respekt, sorgen für Umsatz, der vor Ort bleibt, achten auf den Schutz der Natur und bringen sogar die Besonderheiten der Region auf den Tisch des bordeigenen Fine-Dining-Restaurants. Wo immer es geht, kaufen die Köche die Zutaten für ihre Sterne-reifen Menüs auf den lokalen Märkten ein und lassen sich durch die dortige Küche inspirieren. „Vor 40 Jahren waren wir mit diesem Konzept vielleicht der Zeit voraus, aber heute ist es zeitgemäßer denn je“, ist Daniel Schäfer überzeugt.

Blick über das Vorderschiff nach Backbord.

„Sky-Girl“ Natalie wird sich ganz oben an der Spitze des Großmastes keine Gedanken über all diese Themen gemacht haben. Und doch trägt sie nach der Rückkehr an Deck zu dem besonderen Charakter der Sea Cloud bei. Wie selbstverständlich bewegt sie sich zwischen Gästen – undenkbar auf jedem anderen Kreuzfahrtschiff, auf denen man die Besatzung bestenfalls an sich vorbei huschen sieht. Doch Natalie plaudert hier mit einem, erläutert dort jemandem, was man beim Weg an die Spitze beachten muss. „Schon beim ersten Moment auf diesem Schiff war mir klar: Da oben will ich hin“, sagt sie. „Ja, sie hat hart dafür trainiert“, bestätigt Kapitän Evgeny, der das Gespräch mitbekommen hat. Wie lange sie das denn noch machen wolle, möchte einer der Gäste wissen und fragt konkret, wann sie wieder zur Seefahrtsakademie in Sagres zurückkehren wird. Die junge Frau, die eben noch so souverän in die Wanten geklettert ist, ringt spürbar mit sich um die Antwort. „Ich weiß es noch nicht“, sagt sie schließlich, „die Familie hier an Bord zu verlassen, würde mir sehr schwerfallen“, sagt sie. Und ihr Blick auf den Kreis der Gäste macht deutlich: Mit Familie meint „die Katze“ nicht nur die Crew.

TEXT/WOLFGANG HEUMER

FAKTEN

Die drei Schiffe von Sea Cloud Cruises:

Sea Cloud, Baujahr 1931, 110 m lang, max. 64 Gäste

Sea Cloud II, Baujahr 2001, 117 m lang, max. 94 Gäste

Sea Cloud Spirit, Baujahr 2021, 138 m lang, max. 136 Gäste

Fahrtgebiete:

Atlantikküste, Kanaren & Madeira, Kapverden, Karibik, Mittelamerika und Kuba, USA und Bahamas, Nord- und Ostsee, Östliches- und Westliches Mittelmeer

Tagespreis pro Person: ab € 525/€ 645  Euro bis € 1.075/ € 1.240 Euro (abhängig vom Schiff und vom Fahrtgebiet)

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