Geruhsamkeit, Stilempfinden und Nostalgie können ein Leitfaden sein beim Reisen. Das Staunen über Dinge, die einmal waren. Auf geht’s an den Nil, auf nach Assuan. Nicht weit entfernt vom Sofitel Legend Old Cataract liegt das älteste Schiff, das heute auf dem Nil kreuzt, die SS Sudan. Das doppelte S steht für Steamship. 1896 in Glasgow bei der Werft „William Denny & Brothers“ vom Stapel gelaufen und ein paar Jahre später in Einzelteilen nach Kairo transportiert, startete die Sudan 1921 zur ägyptischen Jungfernfahrt von Kairo nach Assuan. Sie war der letzte Dampfer, den das Reiseunternehmen Thomas Cook & Son seiner Nilflotte hinzufügte, um darauf für erlebnishungrige Briten Kreuzfahrten durchzuführen.
Zu diesen Reisenden gehörte auch Agatha Christie, die mit ihrem zweiten Ehemann, dem Archäologen Max Mallowan, und ihrer Tochter Rosalind zwei Reisen den Nil hinauf unternahm, und zwar im Jahr 1931 und noch einmal im Jahr 1933. Später setzte die Königin der britischen Spannungsliteratur der Sudan mit ihrem 1937 erschienenen, vorwiegend in Ägypten spielenden Roman „Der Tod auf dem Nil“ ein Denkmal. Der Bestseller wurde mehrfach verfilmt, unter anderem 1978 mit Peter Ustinov in der Rolle des Poirot. Gedreht wurde damals vor Ort, teilweise an Bord der SS Memnon, teilweise an Bord der SS Sudan.
Doch vorher war das kleine Schiff während des Zweiten Weltkriegs erst einmal zum Beobachtungsboot der britischen Ägyptenflotte geworden und anschließend in den Besitz des ägyptischen Königshauses gelangt. Dann kam der Putsch von 1952. Erneut wurde die Sudan beschlagnahmt, hatte verschiedene Eigentümer, war mal ein Hotelschiff in Luxor; schließlich vergammelte und verfiel sie.
Erst in den 1990er-Jahren wurde das Schiff von einem Enthusiasten wiederentdeckt und gerettet. Es begann eine umfassende Restaurierung, um das gute Stück in seiner ganzen Pracht wiederherzustellen. Seit einigen Jahren werden von einer französischen Reederei mehrtägige Kreuzfahrten angeboten zwischen Assuan und Luxor, wunderbar gemächlich, in den alten, kunstvoll restaurierten Kabinen. In Zeiten, in denen die Drehorte unserer Lieblingsfilme nicht selten zu Sehnsuchtszielen werden, eine wunderbare Option für Freunde von schwimmenden Oldtimern. Setjetting nennt sich dieser Reisetrend, bei dem man den filmischen Schauplätzen einen realen Besuch abstattet.
Nach einer Nacht im Hotel brechen wir früh am Morgen auf zur Anlegestelle, um von dort eine einzigartige Reise in die Vergangenheit anzutreten. Die Vorfreude steigt, als wir das von Holz, Messing und filigranen Linien geprägte Schiff vor uns sehen, das sich im ruhigen Nilwasser spiegelt. Zur Begrüßung reicht ein im traditionellen bodenlangen Kaftan gekleideter Steward Trockenfrüchte und Hibiskustee. Schon beim ersten Rundgang fühlen wir uns in eine andere Ära versetzt. Das Interieur ist ein wahrer Schatz vergangener Zeiten – dunkles Holz, kunstvolle Schnitzereien und reiche Verzierungen erinnern an die Pracht vergangener Jahrhunderte. Das nostalgische Flair des Schiffs weckt die Vorstellung, dass es Zeuge unzähliger Geschichten aus der Belle Époque sein könnte.
Unser Quartier liegt steuerbord vorn auf dem Oberdeck. Es handelt sich um die mit Antiquitäten und einem hölzernen Wahlscheibentelefon bestückte Agatha Christie Suite. Diese bietet einen wundervollen Panoramablick auf den Strom.
Auch in den anderen Kabinen herrscht ein nostalgisches Ambiente vor mit viktorianischen Betten, Messingpfosten und Wiener Geflecht. Zwischen den beiden Decks sind die 5 Suiten und 18 Kabinen verteilt. Sie sind von breiten Promenadendecks aus zugänglich, auf denen man kleine Sitzgruppen mit Lehnstühlen findet und dazu auch wohltuenden Schatten. Jede Kabine wurde nach einer bekannten Persönlichkeit wie etwa John Mason Cook, Lady Duff Gordon oder Queen Victoria benannt.
Mit einem lauten Pfeifen setzt sich das Steamship Sudan in Bewegung, und die Fahrt beginnt. Ein Deck tiefer hört man die Schaufelräder durch das Wasser furchen und das schlagende Kolbengeräusch, ähnlich wie bei einer historischen Dampflokomotive. Das Schiff gleitet sanft über das Wasser, während die Ufer des Nils an uns vorbeiziehen. Palmen wiegen sich im Wind, kleine Dörfer tauchen auf und verschwinden wieder.
Immer wieder kreuzen lautlos Feluken unseren Weg, die traditionellen ägyptischen Gaffelsegler. Es fühlt sich an, als würden wir durch die Geschichte Ägyptens reisen, und die Zeit scheint stillzustehen. Der schönste Ort tagsüber ist das beschattete Sonnendeck ganz oben mit seinen geflochtenen Liegen, gleich hinter dem hölzernen Kommandostand. Jeweils zu den dafür vorgegebenen Zeiten kommt der Kapitän heraus und rollt für die rituellen Pflichtgebete auf dem Deck seinen Teppich aus. Währenddessen übernimmt ein Gehilfe das Steuer.
Die Crew des Schiffs trägt traditionelle Uniformen, die an längst vergangene Tage erinnern. Alle sind freundlich und hilfsbereit, und die Begeisterung für die Geschichte des Schiffs ist offensichtlich. Sogar den Maschinenraum dürfen wir sehen. Einer der Offiziere erzählt uns, dass das Steamship Sudan während seiner wechselhaften Geschichte zahlreiche berühmte Persönlichkeiten an Bord begrüßt hat, wie etwa König Faruk von Ägypten.
Während der Reise legen wir immer wieder an, um mit fachkundiger Führung die wichtigsten historischen Stätten Oberägyptens zu erkunden, wie etwa die Tempelanlagen von Karnak oder den Edfu-Tempel am Westufer, der als einer der besterhaltenen Tempel in Ägypten gilt.
Gegen Abend taucht die Sonne den Nil in ein goldenes Licht, und wir genießen die aufkommende Brise als wohltuenden Kontrast zu der Hitze am Tag.
Seinen Höhepunkt in Sachen Ruhm und Prominenz erreichte das Steamship Sudan in den 1920er- und 1930er-Jahren. Mit seiner Geschwindigkeit und Eleganz verkörperte das Schiff den Glamour und die Romantik der Belle Époque. Es war ein bevorzugtes Transportmittel für Wohlhabende, die mit den damals üblichen großen Schrankkoffern anreisten und reichlich Garderobe dabei hatten für die gesellschaftlichen Momente an der Bar, im Speisesaal und in den luxuriösen, mit kostbaren Orientteppichen belegten Salons.
Auch heute noch gilt die Cocktailstunde als wichtiges Ritual. Ob Port, Martini oder ein Glas Crémant: Der Abend nimmt so oder so einen stimmungsvollen Auftakt, bei dem sich trefflich über das Weltgeschehen, archäologische oder kulturhistorische Fragen diskutieren lässt. Spekulationen über eventuelle Begegnungen mit dem berühmten Nilkrokodil dürfen da selbstverständlich nicht fehlen. Früher bewohnte es den Nil auf der gesamten Länge, heute findet es sich aber nur noch im Oberlauf bis Assuan. Die Art nahm eine wichtige Rolle in der ägyptischen Mythologie ein und war einst wegen starker Bejagung gefährdet. Nachdem die Jagd in den 1980ern verboten wurde, haben sich – Allah sei Dank – die Bestände weitgehend erholt.
Text und Fotos: Thomas Garms
www.steam-ship-sudan.com
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