Garagen sind dunkle, miefige Orte – und zwar selbst an den vornehmsten Adressen. Dass es auch anders geht, zeigt eine Villa in São Paulo, die längst nicht nur ihre Bewohner und deren Gäste glücklich stimmt. Auch die Oldtimer-Sammlung des Hausherren kommt in den Genuss von räumlichen Qualitäten und raffinierten Details, mit denen der Bau des Architekten Isay Weinfeld erfrischend aus der Reihe tanzt.
Schon die Ankunft in der Casa Grecia wird zum Erlebnis. Das Wohnhaus erstreckt sich im hinteren Teil einer fünftausend Quadratmeter großen, grünen Oase inmitten der quirligen, brasilianischen Millionenstadt. Nach dem Passieren des Eingangstors öffnet sich ein kleines Waldstück, das in einen weitläufigen Garten führt. Erst dort treten die Konturen des Hauses mit jedem Meter Annäherung langsam hervor. Weinfeld hat damit ein wesentliches Stilmerkmal der traditionellen, japanischen Architektur aufgegriffen, wo Wege niemals direkt auf ein Haus zuführen. Durch mehrfache Richtungswechsel wird zunächst ein Moment der Kontemplation erzeugt, bevor die Innenräume betreten werden.
Isay Weinfeld ließ sich auch an anderer Stelle vom Land der aufgehenden Sonne inspirieren: Mit einer unmittelbaren Verzahnung von Innen und Außen, die sich als gestalterischer, roter Faden durch sämtliche Bereiche des Hauses zieht. Um keinen der hohen Bäume auf dem Grundstück fällen zu müssen, schlängelt sich die Architektur um die Natur herum. Die Folge: Das Haus ist kein verschlossener Monolith, sondern ein Zusammenschluss aus vier separaten Gebäudeteilen, die mithilfe von Patios und kleinen Gärten verbunden sind. Die Bäume überragen diese Höfe als natürliche Überdachung und tragen wesentlich dazu bei, die Temperaturen niedriger zu halten.
Die vier Gebäudeteile sind unterschiedlichen Funktionen zugeteilt, was sich ebenso in der Materialität widerspiegelt. Für die Wohnräume kommen Fassaden-Paneele aus kieselgestrahltem Beton zum Einsatz, während die Arbeitsräume mit rauerem Sichtbeton ummantelt sind. Die zum Garten und Pool ausgerichtete Terrasse ist mit hölzernen Planken verkleidet. Für das Esszimmer und die Service-Bereiche wurden sandgestrahlte Betonpaneele ausgewählt. Das Zusammenspiel der Materialien erzeugt kein heilloses Durcheinander. Im Gegenteil: Die Akzentuierung der einzelnen Baukörper vermeidet starre Monotonie und lädt dazu ein, die Casa Grecia zu umrunden.
„Es geht bei unseren Arbeiten immer darum, eine klare Identität auf ein Projekt zu übertragen“, sagt Isay Weinfeld. Neben Wohnbauten gehören ebenso Bürogebäude, Restaurants, Boutiquen und Hotels zum Portfolio des 64-jährigen Architekten. Ein besonders prestigeträchtiges Projekt setzt er derzeit in Manhattan um: Die Neuplanung des legendären Four Seasons Restaurants, das seine Adresse in Mies van der Rohes Seegram-Building verlässt und kommenden Sommer ein paar Blöcke weiter an neuer Adresse eröffnen wird. Weinfeld tritt damit nicht nur in die Fußstapfen Mies van der Rohes, sondern ebenso in die von Philipp Johnson. Dieser hatte das Interieur des Restaurants gestaltet und die Tische um ein Wasserbecken und zwei raumhohe Kirschbäume herum sortiert.
Mit ihrem Zusammenspiel aus Architektur und Natur wirkt die Casa Grecia wie ein Empfehlungsschreiben für diesen Auftrag. Innere Gärten sind gleich in sämtlichen Bereichen der 1923-Quadratmeter-Villa zu finden. Anstatt die eindrucksvolle Oldtimer-Sammlung des Hausherren in eine dunkle Garage zu verbannen, schenke Weinfeld den rollenden Preziosen einen hellen, galerieartigen White Cube. Dessen Clou offenbart sich auf der zur Ausfahrt ausgerichteten Seite, die von einem eigenen Garten flankiert wird. Mithilfe einer zurückversetzten Betonwand entsteht eine schmale Öffnung, durch die eine dichte Baumreihe ins Freie hinauswächst und sanft gedämpftes Sonnenlicht in diese Halle automobiler Träume fallen lässt.
Von der Garage im Untergeschoss führt der Weg hinauf ins Erdgeschoss, wo sämtliche Wohnbereiche des Hauses zu finden sind. Statt eines austauschbaren Treppenhauses gestaltete Isay Weinfeld einen tropischen Garten, wo unregelmäßig versetzte Steinstufen zwischen dichter Vegetation nach oben führen. Das Naturmotiv wird in den Zimmern und Korridoren mit hölzernen Böden und raumhohen Einbaumöbeln aus Holz weitergeführt. Ein besonderen Akzent setzt im Wohnzimmer eine zur Scheibe geschnittene Baumwurzel, die nun als skulpturaler Couchtisch dient.
Der Verzicht auf ein Obergeschoss verstärkt die Verbindung zur Umgebung. Bodentiefe Fensterfronten lassen sich in allen Wohnräumen vollständig zur Seite fahren und erweitern sie so ins Freie hinaus. Bei der Terrasse oberhalb des lang gestreckten Pool sind Rückwand, Boden und Decke mit Holz verkleidet. Das Ergebnis ist ein warmer, wohnlicher Raum, der sich zur Natur hin öffnet. Es sind Ideen wie diese, mit denen Isay Weinfeld nicht nur die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen lässt. Sie sind zugleich eine Liebeserklärung an die Moderne, die in Brasilien bis heute auf raffinierte Weise interpretiert und neu belebt wird.
von Norman Kietzmann
FAKTEN
Design: Isay Weinfeld
Location: São Paulo, Brasilien
Größe: 1.923 Quadratmeter Nutzfläche
Designteam: Gustavo Benthien, Leandro Garcia
www.isayweinfeld.com
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