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Verwinkelt
By Editorial Department access_time 4 min read

Am Rande der Hauptinsel Singapurs und inmitten von überraschend üppigem Grünbewuchs durchbricht eine ungewöhnliche Kontur das bekannte Bild einer Mega-Metropole: Wo sonst unzählige weiß-graue oder metall-gläserne Finger Richtung Himmel weisen, entsagt das ‚Interlace‘ dem traditionellem Konzept des isolierten Himmelsstürmers. Zunächst für das renommierte ‚Office for Metropolitan Architecture‘ (OMA), später dann unter eigener Regie, warf Architekt Ole Scheeren das praktikable Hochhaus-Prinzip buchstäblich durcheinander. Nun liegen 31 Blöcke horizontal über eine Fläche von 170 000 m² verteilt. Dabei flossen zahlreiche Überlegungen in das Design.

Foto: Ivan Baan
Foto: Ivan Baan

Das 2009 begonnene und gegen Ende 2013 fertig gestellte Mega-Projekt beherbergt 1040 unterschiedliche Wohnungen, die trotz relativ zentraler Lage bezahlbar sein sollten. Im Vorfeld unternommene Tests sollten darüber hinaus garantieren, dass jeder Bewohner genügend Tageslicht erhält. Die spezielle Anordnung der je sechs Stockwerke hohen Blöcke machte solche Test nicht unerheblich: Ein ‚Interlace‘ bezeichnet etwas Verwobenes oder Verknotetes und genau dieser Effekt springt beim Näherkommen sofort ins Auge. An drei zentralen Punkten des Gebäudes bilden vier versetzt übereinander gestapelte Blöcke die höchsten Erhebungen. Darüber hinaus sorgen die locker verwobenen Aufbauten für reichlich Lichtdurchbrüche aus verschiedenen Richtungen. In Kombination mit diversen Teichanlagen befördert diese Architektur eine passive Kühlung. Die einkesselnden Häuserwände gewähren zusätzlich Schutz gegen die dauerhaft tropischen Temperaturen des Stadtstaates. Eingangs- und allgemeine Aufenthaltsbereiche sowie das unterirdische Parkdeck kommen ohne künstliche Belüftung aus.

Foto: Ivan Baan
Foto: Ivan Baan

Neben der Nutzung von Licht und Luftkanälen soll die ‚Interlace‘-Struktur aber ebenso ein natürlicheres Landschaftsbild befördern, welches sich in die Umgebung einpasst. Auch wenn die Blöcke bisher noch klobig-kahl daher kommen, werden Zeit und Natur diesen Makel beheben. Denn in fast jedem Winkel – auf jeder der maximal vier Hauptebenen – erobern Gärten und Dachterrassen Schritt um Schritt den Beton für sich. Wenn dank der großen Oberfläche jetzt bereits 112% mehr Grünfläche als vor dem Bau existieren, soll langfristig der gesamte Bau mit seiner Umgebung verschmelzen. Pflanzenbewuchs also als einkalkulierter ‚Baustoff‘.

Foto: Ivan Baan
Foto: Ivan Baan

Das Bedürfnis nach Intimität floss ebenfalls ein in die Konzeption und zeigt sich vor allem an den unterschiedlich gestalteten Innenhöfen. Die Gebäudeanordnung verleiht diesen einerseits Raum und Licht, andererseits verhindern die vielen Winkel allzu große Übersicht. Der Gedanke dahinter versucht eine Übereinkunft aus öffentlichen Plätzen und privaten Rückzugsorten zu finden. Wasseranlagen, Spiel- oder Fitnessräume, Grillflächen und ein Platz für Veranstaltungen sind dazu gedacht, inmitten der anonymen Metropolen-Atmosphäre einen Raum für lokale Gemeinschaft zu errichten.

Foto: Ivan Baan
Foto: Ivan Baan

Weiterhin sollen Spa-Bereiche, Leseräume oder private Gärten Bedürfnisse nach Ruhe und Abgeschiedenheit bedienen. Bei den Bewohnern scheint auf eine gewisse Vielfalt gesetzt zu werden, denn der Wohnraum reicht von 17 m² großen Zimmern bis zu 550 m² riesigen Eigentumswohnungen, mal mit oder ohne Balkon, mal mit privater Dachterrasse. Monatliche Mietpreise beginnen derzeit bei 1 700 Singapur-Dollar, was umgerechnet etwa 1 000 € entspricht. Für dortige Verhältnisse ist dies nicht ungewöhnlich, verglichen mit dem örtlichen Durchschnitt sogar recht annehmbar. Immerhin liegt die Stadt weltweit auf Rang sechs der durchschnittlich höchsten Mietkosten.

Foto: Ivan Baan
Foto: Ivan Baan

Als ‚vertical village‘ – senkrechtes Dorf – bezeichnen die Entwickler ihre Idee: Menschen verschiedener Lebenssituationen, im Inneren durch eine Hommage an den Dorfplatz und ein umfangreiches Repertoire von Aktivitäten verbunden. Die nach außen abwehrende Architektur wirkt dabei wie ein Schutzwall, der die urbane Umgebung zwar nicht gänzlich aussperrt, ihr indes einiges entgegensetzt. Je mehr das Dorf ohnedies im Grün versinkt, desto leichter dürfte solch eine Assoziation von der Hand gehen. Ob das preisgekrönte ‚Interlace‘ den praktischen Test aber auch langfristig übersteht, hängt wohl nicht zuletzt davon ab, wie die Bewohner dieses Angebot annehmen und über die erste Generation hinaus weiter tragen.

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Foto: Ivan Baan

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