Luxus ist ein globaler Wachstumsmarkt. Den einen gilt er als verdammungswürdig, den anderen als ultimative Errungenschaft. Für die überwiegende Zahl der Luxus-Massenartikelhersteller steht aktuell das Thema Individualität und Kundenerlebnis im Vordergrund. Egal, ob Sportwagen oder Handtasche – Kunden dürfen immer mehr Einfluss auf die Gestaltung „ihres“ Produktes nehmen. Ein Trend, über den Maßschneider Sandro Dühnforth nur müde lächeln kann. Denn die Fertigung von Maßbekleidung ist seit Jahrhunderten die ultimative Möglichkeit, persönlichen Stil und Individualität durch Selbstbestimmung in der Gestaltung zu dokumentieren. 

Bei der Maßnahme ist höchste Sorgfalt gefragt.

Dühnforth, Gründer des Vereins „Die Herrenschneider“, und einer der Besten seines Fachs, erklärt dazu: „Stil ist so vielfältig und einzigartig wie ein Fingerabdruck. Die Aufgabe des Schneiders besteht immer auch darin, den Stil der Kunden oder der Kundin zu erkennen und nach den Wünschen des Auftraggebers oder der Auftraggeberin authentisch in ein maßgefertigtes Kleidungsstück zu fertigen.

Übertrag von Maß und Form auf den Schnittbogen. (Foto: Diehm Bespoke/Jörg Fokuhl)

Maßschneiderei – im englischen Bespoke Tailoring  – lebt von dem Dialog und der gegenseitigen Inspiration. Der inflationäre Gebrauch des Begriffs „Bespoke“ im Marketing für Ausstattungsmerkmale bei Kraftfahrzeugen oder den Bettbezug in Wunschfarbe vernebelt leider oft die tatsächlichen handwerklichen und persönlichen Leistungen – vom Auftraggeber wie vom Schneider – die echte maßgefertigte Bekleidung ausmacht“. 

Auslage der einzelnen Teile auf dem Tuch. (Foto: Diehm Bespoke/Jörg Fokuhl)

In der von Massenfertigung geprägten Textilbranche haben die Herrenschneider einen ziemlichen Exotenstatus. Und doch blüht in Deutschland, oft im Verborgenen, eine sehr dynamische Maßschneider-Szene, die mit Handarbeit, Können und Menschenkenntnis für individuelle und hochwertige Bekleidung sorgt. „Die Fertigung nach der klassischen Vollmaßmethode ist sehr anspruchsvoll: Wir vermessen den Kunden, besprechen Stil und Form sowie den Stoff des Kleidungsstücks, erstellen ein individuelles Schnitt-Muster aus Papier und passen bei mehreren Anproben das Kleidungsstück so lange dem Träger an, bis es perfekt passt. So entstehen in einem persönlichen und handwerklich aufwendigen Prozess echte Unikate. Damit hat das Berufsbild neben der rein ökonomischen auch eine echte künstlerische Dimension“, erläutert Dühnforth. 

Die Schnittlinien werden mit Schneiderkreide auf dem Stoff angezeichnet.

Die erste Blütezeit der rein handwerklichen Herrenschneiderei endete mit der Erfindung der Nähmaschine Mitte des 19. Jahrhunderts. Trotzdem blieb das Handwerk bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts flächendeckend erhalten. Während es 1949 bundesweit noch 45.506 Schneiderbetriebe gab, existieren derzeit nur noch rund 60 Maßschneider-Betriebe. Der Verein „Die Herrenschneider“ mit aktuell 12 Mitgliedern in Deutschland sieht sich als die Speerspitze des Maßschneiderhandwerks und sorgt für Austausch und die Vertiefung handwerklicher Standards ebenso wie für aktive Nachwuchsarbeit. 

Die Schnittbögen der Kunden sind ein wertvolles Kapital der Maßschneider.

Auch wenn an allerlei Ladentüren „Maßarbeit“ für wenig Geld versprochen wird, echte Maßschneiderei ist nie günstig. Denn bei etwa 80 Stunden Schneider-Arbeit an einem Anzug beginnen die Preise etwa um 4.000 Euro. Selbstverständlich ist dabei immer auch ein sehr umfangreiches Angebot an den besten Stoffen europäischer Webereien. Ein weiteres Argument sind die schier unbegrenzten Möglichkeiten, die das Schneiderhandwerk seinen Kunden bietet: Egal ob Smoking oder Baggy-Pant, Jeansanzug oder Dreiteiler – die Optionen sartorialer Selbstverwirklichung sind beim Herrenschneider unerschöpflich. Freiheit und Eleganz stehen dann hier auch als Gegenentwurf zum Zweckrationalismus von Business-Uniformen und Über-Casualisierung. Bonus: Ein für seinen Träger individuell angefertigtes Kleidungsstück ist die absolute Champions League. Der Träger spürt es, einige sehen es – diskreter können Komfort und Luxus kaum sein. 

Zuschnitt der einzelnen Stoffteile. (Foto: Diehm Bespoke/Jörg Fokuhl)

„Der Markt ist in Bewegung“, sagt die Journalistin und „FairFashion“-Gründerin Gerlind Hector: „Der Wunsch nach bester Passform und eigens ausgewählten Schnitten und Stoffen nimmt zu, die Preise für einen Maßanzug unterscheiden sich dabei nicht von denen der Fertigprodukte englischer oder italienischer Luxusschneider – sind aber eben einfach besser gemacht und aufgrund ihrer Qualität auch deutlich nachhal­tiger“.

An der perfekten Ausführung der Details erkennt man die Qualität: Ausgestaltung eines Knopflochs. (Foto: Diehm Bespoke/Jörg Fokuhl)

Historisch betrachtet sind die deutschen Maßschneider im internationalen Reputationswettbewerb etwas im Nachteil. Denn Deutschland kann im Gegensatz zu England oder Italien nicht die bekannten Adressen mit Geschichte bieten. Die Briten haben mit der Savile Row eine Straße, die weltweit ein Begriff für Herrenschneiderei ist; und in Mailand sind auch heute noch die Schneider von Gianni Agnelli oder Marcello Mastroianni gut im Geschäft. Die deutschen Schneider stehen für die qualitativ hochwertigste Arbeit, aber lange fehlten große Namen und eine eigene Stilistik. Nun ist der Wandel da: In Zeiten von Instagram haben mittlerweile auch deutsche Schneider internationale Reichweite, das Interesse – auch internationaler Kunden – an deutscher Schneiderkunst hat in den vergangenen Jahren stark zuge­nom­­men.

Das Detail macht den Unterschied – auch beim Annähen der Knöpfe.

Natürlich sorgt auch die individuelle Note des Schneiders (den Schneider des Vertrauens wechselt man eher selten) für eine enge Bindung. Es gibt zwar einige wenige „Trophänejager“ die unbedingt von jedem Schneider in Europa ein Kleidungsstück im Schrank haben wollen, doch die meisten Kunden sind schneidertreu. Denn erst, wenn die Verbindung zum Schneider von Sympathie, Vertrauen und Respekt geprägt ist, sind wahre Meisterwerke möglich. Auch wenn manche Meister gerne einer eigenen Linie in Puncto Stilistik folgen, sind sie doch immer bereit und in der Lage, sich voll auf die Wünsche eines Kunden einzulassen – solang das Ergebnis darunter nicht leidet. Unabhängig davon, ob der Kundenwunsch ins anglophile mit einer eher dezenten englischen Optik oder ins italienische mit „Spaglia Camica“ und anderen Details tendiert – der Schneidermeister oder die -meisterin sind diesen handwerklichen Besonderheiten immer gewachsen. 

Die Dressur mit dem Bügeleisen als wichtiger Arbeitsschritt.

Gerade männliche Kunden von Maßschneidern legen keinen Wert auf logobewährte „Fashionstatements“.  Gegenwärtig mit einer Herrenmode im angesagten Slim-Fit Design stechen sie durch Passform, Eleganz und Stil positiv heraus. „Eleganz ist die schönste Form der Selbstverteidigung. Man trägt ruhig seine eigene ‚Rüstung‘ aus Schönheit, Kreativität und Stil, das erfreut Kenner und sorgt an andere Stelle für Abstand“, sagt Michel Ruge. Der Schriftsteller, Türsteher, Kampfkünstler, Personenschützer und Weltenbummler ist bekennender Maßschneider-Kunde.

Schneidermeister und Kunde bei der Anprobe

Dabei sind es eben nicht nur „Klassiker“ wie dreiteilige Anzüge oder Covercoats, die aus den Ateliers der deutschen Schneiderelite auf den Laufsteg des Alltags treten, sondern mauvefarbene Smokings, Chesterfield-Mäntel mit eingenähten Reflektoren für stilbewusste Radfahrer oder der Frack nach Maß mit maximaler Armrotation für den Dirigenten.

Text: Gunnar Berendson Aufmacherfoto: Diehm Bespoke/Jörg Fokuhl

Ausgewählte Herrenschneider Fachbetriebe

Alexander Amann

Kiefholzstrasse 14, 12435 Berlin

www.herrenschneider-amann.de

Detlev Diehm

Anglerstr. 19a, 80339 München

www.diehmdesign.eu

Sandro Dühnforth

Haus für Kunst und Handwerk, Koppel 66, 20099 Hamburg

www.herrenschneider-hamburg.de

Carlo Jösch

Mohrenstr. 12, 50670 Köln

www.carlo-joesch.de

Sven Krolczik

Murhardstraße 10a, 34119 Kassel

www.sven-krolczik.de

Andreas Moller

Ringstraße 17A, 92637 Weiden in der Oberpfalz

www.andreasmoller.de

Schmidt & Schallmey

Große Bockenheimer Straße 52, Galerie Freßgass, 60313 Frankfurt am Main

www.schmidt-schallmey.de

Eva Schönherr

Christian-Wirth-Str. 8, 36043 Fulda

www.massatelier-eva-schoenherr.de

Julian Weyand

Nordstraße 71, 40477 Düsseldorf

www.julianweyand.com

Schneiderei Winkler

Mühlauerweg 9, 83708 Kreuth

www.massschneider-winkler.de

Alexander Amann Andreas Moller Bespoke Carlo Jösch Eva Schönherr Herrenschneider Julian Weyand Maßschneider Sandro Dühnforth Schmidt & Schallmey Schneiderei Winkler Sven Krolczik