Es war auf der legendären Küchenparty des Sylter Gourmet Festivals, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Plötzlich stand er neben mir. Hagerer Typ mit Rockabilly-Frisur, Lederjacke und Logo einer Rockband auf dem T-Shirt. Er hielt mir die Hand hin. „Ich bin Pistole“, stellte er sich vor. Hatte er gerade die Bezeichnung einer Handfeuerwaffe als seinen Namen genannt? Ja, hatte er. Was mir damals noch komisch vorgekommen sein mag, ist heute für mich ganz normal.
Pistole ist einer der neuen Rockstars der deutschen kulinarischen Szene. Und sein Name passt. Kaum einer ist so gradlinig, energiegeladen und allgegenwärtig wie er. Dabei entsprang er keiner Hoteliersfamilie, hat in keiner Sterneküche gelernt und gehört nicht zur neuen Riege der hippen Sommeliers. Seine Waffe ist seine Vision, das Idealbild von der Wertschätzung dessen, was auf unseren Tischen landet. Die lebt er mit seiner Firma Hardcore Food so kompromisslos, daß es schwer fällt, ihm nicht zuzuhören.
Sein Erfolg kommt nicht von ungefähr, ist eigentlich sogar nachvollziehbar. Dennoch liest sich die Geschichte von Pistole ein wenig wie ein modernes Märchen der Neuzeit. Eigentlich hatte der mit bürgerlichem Namen heißende Torsten Pistol einen ganz anderen Karriereweg eingeschlagen und im Jahr 2000 seine Ausbildung zum Krankenpfleger abgeschlossen. Da hierzulande im Gesundheitssystem aber keine Spitzenlöhne bezahlt werden, musste noch ein Nebenjob her. So kam er zum ersten Mal in Berührung mit der Produktion von Lebensmitteln, genauer gesagt mit der Zucht von Waller, dem europäischen Süßwasserwels. Damit hat alles begonnen.
Pistole war von Anfang an begeistert und stieg kurzerhand als Gesellschafter mit in die Zuchtstation ein. Das ist typisch für ihn. Er ist ein Macher, der nicht lange redet, sondern Dinge umsetzt. Die Wallerstation sollte Pistoles Startschuss sein für eine rasante Reise in die Welt der Gourmets und Fine Dining Restaurants. Eine Reise, welche noch lange nicht zu Ende ist. Kaum ein hochkarätiges Kulinarikfestival, bei dem man ihn nicht antrifft. Begleitet von lauter Rockmusik und namhaften Köchen sieht man ihn kleine Köstlichkeiten zaubern, welche seine Sprache sprechen. Schonungslos ehrliche Küche, faszinierend einfach und komplex zugleich. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit wieder en vogue ist, ist Pistole weit voraus. Denn er lebt seit Jahren das, was andere predigen.
Schon lange hatte er mich eingeladen, ihn zu besuchen. Immer wieder hatten sich unsere Wege geschäftlich gekreuzt, aber für eine Visite hatte die Zeit einfach nicht gereicht. Umso neugieriger bin ich an diesem Mittwochvormittag, als ich auf den Hof der Firma Pistole Hard-Core-Food rolle. Leicht zu finden war sie nicht, selbst mein Navi musste sich ein paar Mal neu orientieren. Nördlich von Osnabrück fährt man über Wiesen und Felder, biegt mal rechts ab, dann wieder links und findet schließlich eine Schotterpiste, welche zu einem wunderschön gelegenen Fachwerkhaus führt. Später soll ich erfahren, dass Pistole das Haus selber gebaut hat.
Er selbst steht schon wartend vor der Tür und begrüßt mich freudestrahlend. Wie immer ist er voller Energie, kann es kaum erwarten, seine Geschichte zu erzählen und mir alles zu zeigen. Seine Firma wirkt überhaupt nicht so, wie man sich einen mittelständischen Betrieb vorstellt. Schnell wird klar, dass man bei Pistole berufliches und privates nicht so einfach trennen kann. „Was wir mit Hard-Core-Food machen, geht weit über den Verkauf von Lebensmitteln hinweg. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen und den Respekt an dem, was wir essen. Nur darum geht es, das ist Hard-Core.“
Pistole ist weder Hippie noch Öko. Batikhemden und Peacezeichen sucht man hier vergebens. Vor der Tür steht sein schwarzer VW-Bus, der so böse aussieht, dass er auf jeder GTI-Messe Preise gewinnen würde. Aus einem Lautsprecher schallt die harte Rockmusik seinerLieblingsband Agnostic Front. Aus Zeiten, als Brooklyn/New York noch gefährlich war und es keine Hipster gab. Hinten im Garten findet Kontrastprogramm statt. Im gigantischen Gemüsebeet wächst genug, um eine Armee zu versorgen. Brokkoli, Karotten, selbst eigene Kartoffeln. Daneben Kräuter, von denen ich noch nie gehört habe. Alles ohne Chemie, versteht sich. Und alles aus eigenem Anbau. Ein weiterer Punkt, der in der Szene für großen Respekt sorgt. Da steht ein Lebensmittelhändler, der nicht nur Bio-Ware verkauft, sondern über ihre Herkunft und Produktion mehr weiß, als manch ein Landwirt.
Durch die Idylle im Garten läuft hin und wieder ein Huhn. „Wenn ich mein Wallerfilet mal panieren möchte, kann ich doch keine Eier aus Legebatterien verwenden, das passt nicht. Also haben wir uns eine kleine Hühnerzucht aufgebaut“, erklärt Pistole. Und einen Bienenstock für eigenen Honig gleich dazu. ich komm aus dem Staunen nicht heraus, doch es kommt noch besser. In einer großen Voliere nebenan wohnt Tussi, ein Habicht, mit dem Pistole regelmäßig auf Jagd geht. Lebensmittelhändler, Rocker, Gemüsebauer, Falkner. Es fällt schwer, ihn zu kategorisieren.
Umso leichter aber, ihn für seine Vision zu schätzen. Fast hätte ich vergessen, warum ich hier bin. Natürlich will ich die Wallerstation sehen, eine der Kernsäulen seines Geschäftes. Sie liegt nur einige Gehminuten entfernt und steht unter dem Motto „Mutter Natur dachte zuerst daran!“ Überfüllte Zuchtbecken? Abgeschafft. Zufütterung mit Soja? Weg damit! Chemie? Natürlich nicht! „Wir wollen unsere Waller so glücklich machen, dass sie gar keinen Bock haben, krank zu werden.“ Was klingt, wie das leere Versprechen einer Werbeagentur, hat für Pistole eine tiefe Bedeutung. Mit der Philosophie wurde aus dem einstigen Krankenpfleger einer der wichtigsten Fischhändler in Deutschlands gastronomischer Landschaft. Und das mit Waller, einem Fisch, der eigentlich gar keinen guten Ruf mehr hatte. Viele Becken stehen in mehreren Hallen. Die Fische sind nach Alter sortiert und wirken nicht sonderlich gestresst. Das Wasser scheint extrem sauber zu sein. „Biologisches Gleichgewicht, da haben Parasiten keine Chance“, erklärt mein Gastgeberund, wie um es zu beweisen, trinkt einen Schluck davon. Gut, hätten wir das also geklärt.
Als Sommelier finde ich das alles zwar sehr spannend und beindruckend, möchte aber wissen, wie sich das alles auf meinem Teller zusammenfügt. Pistole hat sich bereit erklärt, mir ein kleines Lunch zuzubereiten. Kochen hat er auf den vielen Messen und Foodshows gelernt, sich vieles bei den Topjungs der Branche abgeguckt. Da bin ich mal gespannt, was er zaubert. Aber vorher geht es noch in die heiligen Gemächer der Hard-Core-Food GmbH. Ein Schuppen, wie das Hausals Fachwerk ausgebaut, dient als Bar und Lager zugleich. Hier stehen edle Balsamico, Destillate und ein paar Schätze aus der Weinwelt. Immer wieder findet Pistole interessante Produkte, die den Weg in sein Sortiment schaffen. „Hier finden auch unsere Events statt. Wir kochen, essen und trinken zusammen. Es gibt eine kleine Moderation und jede Menge frische Zutaten auf den Teller“, erklärt mir Pistole, der sich eine Flasche Whiskey Balsamico schnappt und mir den Auftrag gibt, einen Wein auszusuchen. Ich entscheide mich für einen Riesling eines österreichischen Winzers. Natürlich ein Bio-Wein, was sonst?
Es gibt Menschen, denen schaut man einfach gerne beim Kochen zu. So auch heute. Pistole ist eindeutig in seinem Element. Der Waller wird filetiert und in Stücke zerschnitten, die in einer Salz-Zucker-Beize eingelegt werden. Das macht ihn angeblich noch zarter. Während das Filet so vor sich hinbeizt, präpariert mein Gastgeber unseren ersten Gang. „Es gibt Leber vom Waller.“
Bitte was? „Lass Dich überraschen. Wallerleben ist reich an natürlichen Fetten, so dass sie zart und geschmackvoll wirkt. Die Fois Gras des Süßwassers, sozusagen.“ grinst er. Die Leber wird in Olivenöl mit etwas Rosmarin gebraten und mit Whiskey Balsam abgelöscht. Nur ein wenig Meersalz und voilà, hat man ein Geschmackserlebnis wie im Sternerestaurant. Mir wurde nicht zuviel versprochen, Wallerleber schmeckt sensationell.
Das Filet kommt ebenfalls mit Öl in die gußeiserne Pfanne, dazu gibt Pistole Zitronenverbene, natürlich aus dem eigenen Garten. Immer wieder löffelt er heißes Öl auf den Fisch, um ihn von allen Seiten zu garen. Und zum Schluss kommt seine Waffe, ein kleines Fläschchen mit Pipette. „Echt-Öl vom Koriander, mehr als ein paar Tropfen brauchst Du nicht.“ Das Gericht ist unglaublich geschmacksintensiv. Der Fisch zart und leicht, mit einer eleganten Zitrusnote und der grünen Frische des Korianders. Und das alles mal eben so aus dem Ärmel geschüttelt, in nicht mal einer halben Stunde.
Mit einem Lächeln im Gesicht und ein paar Produkten im Kofferraum verlasse ich das Paradies, das den Geschäftssitz von Pistole Hard-Core-Food darstellt. Es ist schön, zu sehen, dass jemand seinen Traum lebt und seine Vision durchzieht. Umso schöner, wenn er dabei so konsequent duschgeknallt ist, wie der Typ der den Namen einer Waffe trägt. Pistole!
Text: Nils Lackner
INFO
Pistole Hard-Core-Food – ehrliche Lebensmittel und Events
www.hardcorefood.de I info@pistole.co I +49 177 5775806
Den Sommelier Nils Lackner können Sie buchen: www.nilslackner.com
Mai: nl@nilslackner.com
Telefon: +49 152 28759836
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