Alle reden von Elektromobilität. Wir (noch) nicht. Uns interessiert zunächst nur eine Angabe. Wie lange kann ein magerer 55-Liter-Tank einen mächtigen 6,5-Liter-V12-Saugmotor samt 1001 PS Leistung mit Sprit füttern? Die Antwort: elf Minuten bei Vollgas, was 355 km/h bedeutet.

Testfahrt mit dem Valkyrie auf dem Formel-1-Track in Bahrain.

Klingt alles gewaltig, in jeder Hinsicht. Und ist es auch. Denn alle diese Daten gehören zu Aston Martins neuem Hypercar namens Valkyrie – einem Rennwagen mit Straßenzulassung, den es in nur 150 Exemplaren als Coupé und in 80 Stück als offenen Spider geben wird (weitere 40 Autos werden als reine Rennwagen namens Valkyrie AMR Pro auf die Räder gestellt). Wir reden hier von insgesamt 1.155 PS auf der Hinterachse, von einem 6,5-Liter-V12-Saugmotor mit zusätzlicher Elektrounterstützung und von bis zu 1.100 Kilo Downforce im Serientrimm bei einer Vollbremsung. Das alles muss erklärt werden.

Das Hypercar entstand in Zusammenarbeit zwischen Aston Martin, Red Bull Advanced Technologies und AF Racing.

Schon lange hatte Red Bull-Ingenieur und Aerodynamik-Spezialist Adrian Newey die Idee eines Straßensportwagens mit Luftführung wie in der Formel 1. 2016 fand er in Aston Martin den passenden Partner – das Projekt „AM-RB 001“ entstand als Ergebnis einer technischen und strategischen Zusammenarbeit zwischen Aston Martin, Red Bull Advanced Technologies und dem Projektpartner AF Racing. Als Entwicklungskosten wurden anfangs 60 bis 100 Millionen Pfund veranschlagt, wobei auch immer klar war, dass man bei der richtigen Anzahl von Exemplaren kein Geld verlieren könne.

Der Motor, ein nur 206 Kiko schwerer, aber 1001 PS starker 6,5-Liter-V12.

Mit der Erschaffung des passenden Motors wurden die Spezialisten von Cosworth beauftragt. Die bearbeiteten den vorhandenen Aston-V12 penibel, so dass schließlich ein nur 206 Kilo schwerer, 1001 PS starker 6,5-Liter-V12 mit 48 Ventilen und 780 Newtonmeter maximalem Drehmoment entstand, der problemlos Drehzahlen von bis zu 10.600 Umdrehungen aushält – das sind Motorradwerte. Er wurde zudem als Mittelmotor und als vollbelastetes Element des Chassis konzipiert. Oder anders ausgedrückt: Wird der Motor entfernt, verbindet nichts mehr die Vorderräder samt 90 Kilo leichter Carbon-Wanne, in dem die Passagiere sitzen, mit dem Heck.

Das Triebwerk wurde als Mittelmotor und als vollbelastetes Element des Chassis konzipiert.

Bruce Wood, Managing Director von Cosworth: „Die Bitte, einen V12-Saugmotor zu entwickeln, der für eines der kultigsten Autos aller Zeiten geeignet ist, erfüllt Cosworth mit großem Stolz. Jahrzehnte in der Formel 1 haben uns gelehrt, von jemandem mit der unübertroffenen Erfolgsbilanz von Adrian Newey eine ziemlich anspruchsvolle Spezifikation zu erwarten, aber als wir anfingen, über Besonderheiten in Bezug auf Leistung, Gewicht, Einhaltung von Emissionen und Haltbarkeit in Kombination mit immer härteren und manchmal widersprüchlichen Zielen zu sprechen, wussten wir, dass dies der Fall sein würde –eine Herausforderung wie keine andere.“

Damit aber nicht genug, denn der Valkyrie ist auch Aston Martins erstes Hybridauto: Der Verbrenner wird unterstützt von einem 350-Volt-Hybrid-System. Dessen Mittelpunkt bildet ein 150 PS und 280 Nm starker Elektromotor, der diverse Aufgaben übernimmt. Er ist Startermotor, Alternator, Gangwechsel-Synchronisator, Boostgeber (plus 100 Nm auf Knopfdruck), Schleichfahrtantrieb im Stau und wird beim Rangieren und zum Rückwärtsfahren benutzt, was die sequenzielle Siebengang-Doppelkupplung wegen fehlendem Rückwärtsgang kleiner und leichter macht.

Gewichtseinsparung war für den Valkyrie eine zentrale Maßgabe.

Apropos leicht: Gewichtseinsparung war ein weiterer wichtiger Punkt im Lastenheft. So verwendet Aston Martin kein normales DCT-System (Dual Clutch Transmission), sondern ein sequenziell geschaltetes – es gibt zum Beispiel keinen Automatikmodus. Das spart 80 bis 90 Kilo. Zudem stammen rund 400 Teile aus dem 3D-Drucker. Ein Sitz wiegt nur acht Kilo, ein Rad 8,5 Kilo, eine Tür – trotz echten Glases für die Straßenzulassung ­– 8,4 Kilo.

Auch Aerodynamik des Valkyrie ist bei einem straßenzugelassenen Auto einzigartig. Der Frontflügel stammt aus der Formel 1, besitzt aber mehr Elemente, als die Top-Rennserie erlaubt. Er hilft wie auch die Venturi-Tunnel und die Vortex-Generatoren dabei, den Abtrieb beim Beschleunigen zu verringern und beim Bremsen zu erhöhen. Wer wissen will, ob der Fahrer gerade Vollgas gibt, muss nur den Heckflügel beobachten – er stellt sich dann flach.

Kaum zu erkennen sind am Heck die winzige hochgesetzte dritte Bremsleuchte auf der Mini-Finne und die kleinste Kennzeichenbeleuchtung der Welt – beide eine Behördenvorschrift für straßenzugelassene Autos und in ihrer Größe gerade noch legal. Eine Herausforderung war auch der Scheibenwischer. Denn es galt, bei der stark gebogenen Frontscheibe, die ähnlich geformt ist wie bei einem LPM-Rennwagen, sicherzustellen, dass das Gummi alle Ecken erreicht. Die Lösung: Ein Torsionsstab führt den langen Wischerarm von Seite zu Seite, auch das Gummi rollt hin und her. Teile des Systems stammen von der Firma, die auch die Space-Shuttles baute. Entwicklungszeit allein für dieses Bauteil: rund ein Jahr.

In Summe bietet der Valkyrie jetzt 1.155 PS bei unglaublichen 10.600 Umdrehungen an sowie 900 Nm bei 7000/min. Im optimalen Falle beschleunigt der 1.270 Kilo leichte Wagen damit in weniger als drei Sekunden von 0 auf 100 km/h, die Höchstgeschwindigkeit ist abgeregelt auf 355 km/h – das Limit geben die Straßenreifen vor.

Das der Zweisitzer sowohl die Rennstrecke meistert als auch legal durch Großstädte rollen darf, liegt auch an dem aufwendig konstruierten aktiven Fahrwerk. Das wird beeinflusst von einer mächtigen Hydraulikpumpe, die aus einem Apache-Hubschrauber stammt. Sie reagiert auf 1.000 Kalkulationen pro Sekunde und berücksichtigt unter anderem Lenkwinkel und Gaspedalstellung. Nebenbei ist sie auch für die aktive Aerodynamik zuständig. Dank dreier verschiedener Fahr-Modi – Urban, Sport und Track – wird unter anderem dieses schraubenfederlose Fahrwerk auf die jeweiligen Ansprüche eingestellt.

Für unseren Tracktest – ein Wagen steht bereit auf der Formel 1-Strecke in Bahrain – wird uns zu „Track“ geraten mit der ESP-Einstellung „Sport“ als finalem Rettungsanker, sollten wir es übertreiben. Der Respekt ist allerdings auch so schon groß – das beginnt bei der Sitzposition.  Auf die „Liegeschale“ fädelt man sich am besten ein, wenn man sich bei hochgehaltener Flügeltür auf den hohen Schweller setzt und dann die Füße nachzieht. Einmal niedergelassen, befinden sich die Füße auf Höhe der Hüften, so liegen auch die F1-Piloten. Das Cockpit ist erstaunlich übersichtlich, denn die wenigen Funktionsknöpfe befinden sich alle im rechteckigen Lenkrad. Die Sicht nach hinten gibt es nur über Bildschirme, denn Aston Martin nutzt erstmals Kamerasysteme dafür.

Wir haben zweimal drei Runden auf der 5,412 Kilometer langen Piste mit seinen 15 Kurven, eine echte Herausforderung bei einer unbekannten Rennstrecke und 1155 PS im Rücken. Tatsächlich fährt sich der Valkyrie ziemlich einfach – wenn man nicht die unbändige Kraft abfordert. Denn dann setzt es beim Beschleunigen Schläge in den Nacken, und dank der Carbon-Keramik-Bremsanlage (Bremsscheibengröße vorne: 420 Millimeter) wird die Muskulatur auch bei der Energievernichtung stark beansprucht. Nur auf der Start-Ziel-Geraden können wir kurz verschnaufen.

Beide Valkyrie-Versionen besitzen den gleichen Antrieb. Die Rennversion besitzt eine noch extremere Aerodynamik inklusive Aussenspiegel – wenn sie montiert sind.

Wenn wir uns nicht auf den „ERS“-Knopf konzentrieren. Drücken wir ihn, bekommen wir – solange der Daumen auf dem Knopf bleibt – 100 Newtonmeter extra Kraft. Dazu muss aber das Gaspedal zu mindestens 95 Prozent durchdrückt sein. So gewappnet erreicht das Geschoss vor der Kurve 1 mehr als 300 km/h, wobei das Auto völlig ruhig bleibt – nur das formelmäßige Schreien des Motors im Rücken erinnert daran, mit welcher entfesselten Kraft man es hier zu tun hat. Die sequenzielle Schaltung ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Im „Track“-Modus arbeitet sie am besten, wenn man nur bei Vollgas hochschaltet. Wie sie sich im Urban-Modus anstellt, können wir leider nicht ausprobieren. Davon, dass eine Städtetour im Valkyrie aber anders ausfällt als in einem normalen Auto, zeugen die beiden serienmäßig mitgelieferten Kopfhörer. Da der Motor auch schon im Schiebebetrieb unglaublich laut ist, können Pilot und Copilot immerhin darüber kommunizieren.

Das Cockpit ist erstaunlich übersichtlich, denn die wenigen Funktionsknöpfe befinden sich alle im rechteckigen Lenkrad.

Mit diesen ersten Eindrücken bringen wir das 2,7-Millionen-Euro-Auto unversehrt wieder in die Aston Martin-Box. Der Spider wird vermutlich etwas teurer, die Rennversion sowieso. Wer noch ein paar Euro optional anlegen will, kann sie unter anderem in ein Carbon-Optik-Paket stecken oder sogar in eine Blattgoldauflage unter dem Decklack. Man kann aber fürs Coupé auch ein Track-Pack ordern, das alle Teile für die Straßenzulassung mit Rennteilen ersetzt. Dann liegt das Hypercar noch ein bisschen tiefer und soll um acht Prozent schnellere Rundenzeiten erlauben. Allerdings sind alle Exemplare schon verkauft – passend zum Auto nahezu in Rekordzeit.

Wir sind mal gespannt, ob eine andere Marke den Rekord von 55 Liter Spritverbrennung in elf Minuten bei Vollgas noch toppt. Bei dem Tempo der Elektrifizierung befürchten wir: nein.

Text: Roland Löwisch Fotos: Max Earey/Aston Martin

Technische Daten Aston Martin Valkyrie Coupé

Motor 1 V12

Hubraum 6500 ccm

Leistung 746 kW (1001 PS) bei 10.600/min

Max. Drehmoment 780 Nm bei 7000/min

Motor 2 E-Motor

Leistung 119 kW (160 PS)

Max. Drehmoment 280 Nm

Systemleistung 1155 PS bei 10.600/min

Systemdrehmoment: 900 Nm bei 6000/min

Getriebe Siebengang-Doppelkupplung

Antrieb Hinterräder

L/B/H 4506/1920/1060 mm

Leergewicht 1.270 Kilo

Sprint 0-100 km/h 3,0 Sek.

Top-Speed 355 km/h (abgeregelt)

Preis ca. 2.700.000 Euro inkl. Steuern

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