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Wa(h)re Kunst

26. Januar 2025 Editorial Department5 Min. Lesezeit

Was ist der Wert von Kunst? Kein anderer Künstler weiß das gut wie Damien Hirst. Der 58-jährige Brite ist das geschäftstüchtige Enfant terrible des Kunstmarkts, und der wohl reichste lebende Kunstproduzent. Ob Hai in Formaldehyd, Diamantenschädel, Schmetterlingsbilder oder gepinselte Kirschblüten, keiner beherrscht die Tricks des Marketings so wie er. Hirsts Kapital sind Provokationen rund um Geld, Tod und Kunst. Er ist nicht nur ein cleverer Selbstvermarkter, er hat sein Geld auch klug angelegt. Ist also ein Kunstwerk von Damien Hirst auch eine gute Investition? Das kommt, wie bei anderen Künstlern auch, darauf an. 

Damien Hirst, Bold, 2020
84 x 100 x 33 inches (2144 x 2531 x 850 mm)
Photographed by Prudence Cuming Associates Ltd.
© Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved,
DACS/ArKmage 2023.

Hirst selbst hat es nicht mehr nötig, von seiner Kunst zu leben. Mal wird sein Vermögen auf eine Milliarde Euro geschätzt, mal konservativ auf 350 Millionen, je nachdem, wie man seine beachtliche Sammlung anderer Künstler, darunter Werke von Francis Bacon, Jeff Koons und Andy Warhol, sowie seine Immobilien bewertet. Er besitzt Häuser und ein Schloss in Großbritannien, ein Sommerhaus in Mexiko sowie ein Museum in London. 

Damien Hirst, Flower Arranging, 1995
Diptych, each panel: 48.2 x 36 inches (1224 x 915 mm)
Photographed by Prudence Cuming Associates Ltd.
© Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved,
DACS/ArKmage 2023.

Der Starkünstler präsentiert seine Kunst längst als Markenprodukt. Und reagiert auf die Sehnsucht derer, die sich kein Original in sechs- oder siebenstelliger Summe leisten können mit Produkten seiner Motive in allen Preisklassen, von einem Dollar bis zu mehreren Millionen.
Viele Leute kaufen keine Kunst, sondern ein Branding, sie nennen ihre Werke nicht beim Titel, sondern sagen: I have a Damien Hirst. So wie sie sich mit einem Picasso oder einem Ferrari brüsten. Der Wert des Kunstwerks steigt mit dem Status. Das funktioniert, solange die Bildmotive ikonisch, wiedererkennbar und nicht zu sehr verbreitet sind. Seine stereotypen Punktebilder etwa kann keiner mehr sehen. Er hat von den „Spot Paintings“ einfach zu viele von seinen Helfern tupfen lassen. Allein bis 2012 hat Hirst 1400 Rasterbilder produziert. 300 davon zeigte er im selben Jahr zeitgleich in elf Dependancen der Gagosian Gallery auf drei Kontinenten.

Damien Hirst, Dead Ends Again, 1999
71.7 x 108.1 x 4.7 inches (1820 x 2745 x 120 mm)
Photographed by Prudence Cuming Associates Ltd.
© Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved,
DACS/ArKmage 2023.

Interessant wird es, wenn Damien Hirst sich wieder einmal neu erfindet und seine bekannten Motive in neuen, aktuellen Varianten präsentiert. Wenn er neue, wildere Punktebilder 2021 plötzlich auch als NFTs anbietet, im Lockdown 2020 wieder selbst zu Pinsel und Farbe greift, um liebliche Kirschblüten zu malen oder seine „Spin Paintings“ 2023 von einer Künstlichen Intelligenz herstellen lässt.
Hirst bringt auf den Markt, was sich massenhaft verkauft und ankommt. Im vergangenen Jahr setzte er auf den inzwischen abgesackten NFT-Boom und verbrannte für sein Projekt „The Currency“ Hunderte bunte Punkte-Bilder aus der eigenen Werkstatt – die glücklichen Käufer der zehntausend Bilder wurden aus siebzigtausend Bewerbungen ausgelost. Wer 2.000 Dollar pro Stück bezahlte, musste sich dann zwischen dem Original auf Papier oder dem digitalen Zertifikat in Form eines Non-Fungible Token (NFT) entscheiden. Eine knappe Mehrheit spekulierte auf das physische Objekt. Den Rest der Bilder warf Damien Hirst in einer spektakulären Aktion ins Feuer. Kurz darauf brach der NFT-Markt ein, und die Preise für die echten Papierbilder schnellten in die Höhe. Wer sein Exemplar nur wenige Monate später in eine Auktion gab, erhielt bereits das Doppelte des bezahlten Preises.

Damien Hirst, Spring Blossoms Blooming, 2019
Triptych, each panel: 108 x 72 inches (2743 x 1828 mm)
Photographed by Prudence Cuming Associates Ltd.
© Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved,
DACS/ArKmage 2023.

Hirst war immer ein strategisches Genie und ist es bis heute. Was es heißt, kein Geld zu besitzen, hat der Junge aus der Arbeiterstadt Leeds am eigenen Leib erfahren. Sein Vater, ein Automechaniker, verließ die Familie, als der Sohn zwölf Jahre alt war. Seine irisch-katholische Mutter hatte wenig Einfluss auf ihn. Früh schlug er sich selbst durch und feierte als Punk-Künstler am Londoner Goldsmiths College schon 1988 Erfolge. Drei Jahr später schockte er die Kunstwelt mit einem in Formalin schwimmende Tigerhai „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“ (1991). Das tote Tier machte ihn 1992 auf der Biennale in Venedig schlagartig berühmt. Das Werk entstand im Auftrag des Kunsthändlers Charles Saatchi, der es 2004 für umgerechnet 9,3 Millionen Euro an den US-Casino-Besitzer Steven A. Cohen verkaufte. 2006 musste der Hai ausgetauscht werden, nachdem sein Körper begonnen hatte, sich aufzulösen.

Geschäftstüchtig war Hirst immer. Im Jahr 1998 eröffnete er zusammen mit Partnern das von ihm gestaltete Restaurant „Pharmacy“ im Londoner Stadtteil Notting Hill. Als das Lokal 2003 pleite ging, schlug er daraus noch Kapital. Das Interieur ließ er 2004 bei Sotheby’s für knapp 16 Millionen Euro gewinnbringend versteigern.

Anfangs verzieh man ihm auch Schwächen. Als Hirst im Frühjahr 2005 in der New Yorker Gagosian Gallery dreißig fotorealistische Gemälde ausstellte, die um Themen wie Drogensucht, Pathologie und Tierexperimente kreisten, wollte zunächst keiner die gruseligen Motive kaufen. Auf der Höhe seiner Karriere, verkraftete es der Künstler, dass eine Ausstellung einmal nicht ausverkauft war.

Kritik wurde erst laut, als die Preismanipulation um seinen diamantenbesetzten Schädel „For the Love of God“ aufflog. Den Platinabguss eines menschlichen Totenschädels mit 8.602 Diamanten stellte Hirst 2007 in einer Londoner Galerie aus. Er sollte umgerechnet 75 Millionen Euro kosten, damals ein Weltrekord für ein Kunstwerk. Der Materialwert lag bei 15 Millionen. Als sich kein Käufer fand, mobilisierte Hirst eine Gruppe von Investoren, die die Summe zahlten. Doch an dem Konsortium, das den Schädel seitdem immer wieder ausstellt, ist der Künstler selbst beteiligt. 
Schlagzeilen machte Hirst auch, als er im September 2008 in Eigenregie mehr als 200 Werke beim Auktionshaus Sotheby’s versteigern ließ. Weil er seinen Galeristen Gagosian umging und damit ein Tabu brach, setzte ein Medienhype vor der Auktion ein und befeuerte die Preise. Der Umsatz stieg auf 138 Millionen Euro. Zynischer Nebeneffekt: die Auktion in London fand am Vorabend der Lehman Brothers-Pleite statt.

Damien Hirst, Myth Explored, Explained, Exploded, 1993
Triptych, each part: 78.1 x 42.5 x 30.5 inches (1983 x
1079 x 775 mm)
Photographed by Prudence Cuming Associates Ltd.
© Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved,
DACS/ArKmage 2023.

Hirst setzt auf das richtige Timing am richtigen Ort. Heute sind das die sozialen Medien. Auf Instagram, wo er fast eine Million Follower hat, filmt er sich seit 2020 immer wieder im beklecksten T-Shirt mit Eimer und Pinsel in den Händen vor riesigen Leinwänden. „The Cherry Blossoms”, Kirschblüten, nannte er seine jüngst Bilderserie, die mit ihren pinkfarbenen Farbexplosionen nach der Pandemie gute Laune verbreiteten. Rund ein Drittel seiner 107 Kirschblüten-Bilder stellte er in der Pariser Fondation Cartier aus. Die dekorativen Bilder rissen ihm Sammler aus den Händen. Die grauen Decken, auf denen sich die Spritzer beim Malen im Atelier sammelten, hat er übrigens schon verwertet. Die neue Serie nennt er „Coast Paintings“. Unter dem Titel „Where the Land Meets the Sea“ bot er sie auf der Plattform Heni als Edition an.

Text: Gabi Czöppan

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