Inflation – materialist https://materialist.media A forward thinking source for Private Wealth and Personal Lifestyle. Tue, 04 Jun 2024 14:42:25 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.1 https://materialist.media/wp-content/uploads/2016/08/cropped-logoicon-Website-32x32.jpg Inflation – materialist https://materialist.media 32 32 94844354 Fatale Mischung https://materialist.media/mischung-aus-machtanmassung-und-korruption/ Mon, 16 Oct 2023 11:19:42 +0000 https://materialist.media/?p=5193 Ein Verbot jagt das nächste. Tempolimit, 15 Minutes Citys, Autofahren, Fleischverbot, Zigaretten-Bashing, Zuckerverbot, Flugverbot, anonymer Gold-Kaufverbot und Energie-Rationierung. Welches Verbot nervt Sie am meisten?

Am meisten nervt das Denkverbot, die Schere im Kopf, die man uns zu installieren versucht. Wir haben zu keiner einzigen relevanten politischen Frage mehr einen offenen Diskurs, wir haben nur noch Narrative. Egal, ob das die Klimafrage, die Energiepolitik, speziell die Frage der Atomenergie, die Corona-Maßnahmen, die Immigration oder den Krieg in der Ukraine betrifft: Wer von der Regierungslinie abweicht, wird mit totalitären Methoden angegangen und es wird der Versuch unternommen, ihn mundtot zu machen.

Auf welche Weise?

Meinungsfreiheit wird zwar nicht verboten, aber erstickt. Das ist die Voraussetzung für die Verbotskultur in unserem Land. Denn wer nicht mehr debattieren darf, der kann sich auch gegen immer neue Verbote und Einschränkungen seiner Freiheit nicht mehr zur Wehr setzen. Das Redeverbot wird dann mittels Vermeidung kognitiver Dissonanz zum Denkverbot. Das Denkverbot macht den Bürger vom freien Menschen zum Untertan.

Sind die coolen Zeiten vorbei?

Wir brauchen eine fundamentale Umkehr des Trends der Denkverbote. Wir brauchen Menschen, die sich nicht fürchten vor der Cancel Culture, und die der Jugend vorleben, was es heißt, gegen den Strom zu schwimmen. Der erste Schritt: der Jugend den Unterschied zwischen Mut und Gratismut zu erklären.

Markus Krall in seinem Arbeitszimmer auf Mallorca (Foto: Insa Gonzalez).

Was heißt Mut für Sie?

Auch gegen die Mehrheit oder Sanktionen den Mund aufzumachen. Gratismut ist es, auf einer Schulschwänzparty mitzulaufen, zu der der Lehrer aufgefordert und eingeladen hat und auf der sich alle gegenseitig ihres Gutmenschentums versichern.

Und wer das nicht gut findet…

…muss unermüdliche Überzeugungsarbeit leisten für das Prinzip der Aufklärung, welches da lautet: „Sapere Aude“, habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen. Weg mit der Schere im Kopf, weg mit den Denkblockaden und Denkverboten, der Rest passiert dann von ganz allein.

Wie konnte es passieren, dass mit der EU eine Organisation, die den europäischen Wohlstand aufgebaut hat, gefühlt den ganzen Kontinent nur noch mit Vorschriften und Regularien lähmt?

Die EU hat den europäischen Wohlstand nicht aufgebaut, das haben ihre Bürger getan. Und waren dabei um so erfolgreicher, je freier ihr Wirtschaftssystem war. Die EU hatte durch Abbau von Zöllen, nicht-tarifären Handelshemmnissen im Binnenmarkt und Durchsetzung des Binnenmarktes positive Wachstumsimpulse gesetzt, weil das die Marktwirtschaft gestärkt hat. Ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde die EU jedoch zunehmend von politischen Kräften gekapert, die nichts dergleichen im Sinn hatten und die es verstanden, die institutionellen demokratischen Defizite der EU für die Errichtung einer unkontrollierten Bürokratie und übergriffigen Ausdehnung der Zuständigkeiten zu missbrauchen. Eine neue Klasse machtbewusster Bürokraten mit neofeudalistischen Ansichten ist da herangewachsen. Ihr Bild von Staat und Gesellschaft ist paternalistisch, sie sehen sich selbst als verteilende und dirigierende Kaste, eine Art neuer Adel.

Jetzt scheint dieses System an seine Grenzen zu kommen.

Ja, weil es sich überdehnt hat und zugleich das Gift der Korruption eingesickert ist. Die Mischung aus Machtanmaßung und Korruption zwingt aber die Bürokratie zu immer neuen Vorschriften und auch Freiheitseinschränkungen inklusive der Diskursverweigerung und Diskursunterdrückung. Das System muss, um zu überleben, immer autoritärer werden.

Ich wohne in München und fahre einen Euro4 Diesel. Sehen Sie noch irgendeine Zukunft für mein Auto?

Ja, die sehe ich. Die von mir gegründete Atlas-Initiative finanziert die Prozesse von Münchner Bürgerinitiativen gegen das Diesel-Fahrverbot der Stadtverwaltung. Einen ersten Teilerfolg für Euro5-Diesel haben wir bereits erzielt, wir machen damit weiter. Am Ende ist die gewaltsame Umstellung des Individualverkehrs mit den Gesetzen der Ökonomie und auch der Physik nicht vereinbar, einfach weil es nicht genug Rohstoffe dafür gibt. Diese Politik wird daher scheitern.

Sie halten den Euro für eine Fehlkonstruktion. Warum das? Was wäre die Alternative?

Zunächst leidet der Euro unter dem Problem aller Währungen, bei denen die Zentralbank Geld aus dem Nichts schaffen kann, weil das Geld nicht an das Gold gebunden und so die Geldmenge nicht durch die Menge verfügbaren Goldes begrenzt wird. Das führt zu einer kontinuierlichen Ausdehnung der Geldmenge, um irgendwelche politischen Projekte und Defizite des Staatshaushaltes zu finanzieren, was am Ende in die Entwertung der Währung durch Inflation führt.

Und die Konstruktionsfehler?

Euroland ist zum einen kein optimaler Währungsraum und zum anderen ist sein Regelwerk nicht geeignet, die resultierenden Ungleichgewichte durch disziplinierende Anreize zu korrigieren, weil eine Orientierung der Geldpolitik an Durchschnittswerten bei divergierender wirtschaftlicher Entwicklung der Mitgliedsländer für alle Beteiligten falsch ist.

Was bedeutet das?

Ein optimaler Währungsraum zeichnet sich durch einen gewissen Grad an wirtschaftlicher Homogenität und vor allem Mobilität der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital aus. Diese Faktormobilität ist zum Beispiel in den USA gegeben, der Dollarraum ist in diesem Sinne optimal. Geht Kalifornien in die Rezession und Texas in den Boom – wie das im Moment aufgrund der falschen Wirtschaftspolitik Kaliforniens und der besseren in Texas der Fall ist – treten Wanderungsbewegungen von Arbeitskräften ein. Das wird dort erleichtert durch gemeinsame Sprache und eine Kultur der Mobilität. Das ist in „Euroland“ nicht der Fall. Das verschärft die Unterschiede in der Entwicklung der Länder, was wiederum dazu führt, dass eine einheitliche Geldpolitik als Prokrustesbett wirkt: Für den einen ist sie zu locker, für den anderen zu strikt, für keinen passend.

Der vielbeschäftigte Finanzexperte genießt die Musestunden am Mittelmeer (Foto: Insa Gonzalez).

Mit welchen Resultaten?

Diese Mechanismen erzeugen künstlich Krisen, wie in Griechenland, Zypern, Portugal und auch Italien. Das Ergebnis ist die Rettung als Betriebszustand der Währung. EuRO steht insofern für Europäische Rettungs-Organisation. Es folgt daraus die Notwendigkeit, die Geldpolitik immer an den schwächsten Mitgliedern des Verbundes zu orientieren. Das ist die tiefere Ursache für die Null- und Negativzinspolitik der letzten 15 Jahre vor der Inflationskrise, in die wir jetzt eingetreten sind. Sie zerstört den Produktivitätsfortschritt und damit die Wachstumsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und setzt Anreize zu einer immer weiteren Steigerung der billigen Verschuldung in den südlichen Ländern, so dass die Schuldenfalle immer tiefer wird.

Wo ist der Unterschied zwischen der EU 1950 und 2023?

Die Vorläufer der EU in den 50er Jahren waren kleiner, fokussierten sich auf Freihandel und Zollunion und waren zugleich ein Vehikel, um Westdeutschland in das westliche Bündnissystem stärker einzubinden. Sie hatten keine transnationale Bürokratie, weil Frankreich und andere Mitglieder nicht bereit waren, ihre Souveränität einzuschränken, aufgrund des hohen Gewichts Deutschlands in dem damals neuen Club. 

Coronakrise, Migrationskrise, Wirtschaftskrise, Bankenkrise, Klimakrise, Gender-Krise, Ukraine-Krise. Hört es irgendwann auf, oder stolpern wir nur noch von einer Krise in die andere?

Wir stolpern von Krise zu Krise, weil diese Krisen politisch hausgemacht sind, und zwar jede einzelne. Die Ursache dieser Krisen ist die Kombination der Inkompetenz unserer durch Negativauswahl gebildeten politischen „Elite“ und einer Krankheit der Köpfe in der westlichen Welt, die gekennzeichnet ist von einer Kombination aus Wohlstandsverwahrlosung, Denkfaulheit, Verweigerung der Logik, Ablehnung des Leistungsgedankens und Vergötzung der kurzfristigen Lustbefriedigung. All das wiederum ist Ergebnis einer Koinzidenz von leistungslosem Wohlstand und einer über Jahrzehnte aufgestauten Bildungskatastrophe. Politische Inkompetenz und Realitätsverweigerung bei einem Großteil der Wähler und Bürger verstärken sich in ihrer Wirkung gegenseitig. 

Betrachtet man die Krisen einzeln, so erkennt man auch, dass sie menschengemacht sind, nicht das Ergebnis eines ungnädigen Schicksals. Die Coronakrise ist das Ergebnis einer Selbstüberschätzung der Politik und hat ihre autoritären Neigungen offenbart. Die Migrationskrise ist das Ergebnis der Fehlentscheidung von Angela Merkel, die Grenzen zu öffnen und ihrer Uneinsichtigkeit, diesen Fehler zu korrigieren. Die Wirtschaftskrise ist das Ergebnis von Überregulierung, staatlicher Ausgabenwut, Überbesteuerung, Bürokratie, Gängelung und falscher Geldpolitik. Die Bankenkrise ist Auswuchs der Hybris, dass Staat und Zentralbanken das Finanzsystem steuern könnten, dabei setzen sie nur Fehlanreize zur Übernahme untragbarer Risiken, indem die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. Das ist keine Marktwirtschaft. Die Klimakrise ist eine scheinwissenschaftliche Fata-Morgana, die mit gewaltigen Geldmitteln für Propaganda und Lobbyarbeit Geld aus den Taschen der Bürger zieht und an bestimmte Interessengruppen und Industrien umverteilt. Die Genderkrise kann man nur noch als Gehirngrippe einstufen und die Ukrainekrise ist das unvermeidliche Ergebnis einer Außenpolitik, die zu keinem Zeitpunkt dafür gedacht war, auf Basis von Gleichberechtigung und Partnerschaft eine Europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen. Kurz: Politikversagen, wohin man auch schaut.

Trotz aller Sorgen um die deutsche Wirtschaft: Markus Krall liebt die gemeinsame Zeit mit seinem Hund (Foto: Insa Gonzalez).

Deutschland hat einen massiven Mangel an Fachkräften, heißt es. Gibt es überhaupt noch genügend Arbeitsplätze in der Wirtschaft? 

Fachkräftemangel ist eigentlich das Gegenteil von Arbeitskräftemangel. Offenbar haben wir mehr Stellen zu besetzen als wir fähige Leute haben. Das ist in erster Linie das Ergebnis falscher Bildungspolitik und kann durch Immigration nicht korrigiert werden aus ganz einfachen Gründen: Qualifizierte Fachkräfte gehen dahin, wo sie sich frei und ungehindert entfalten können. Das ist nach Lage der Dinge nicht das semisozialistische Europa und schon gar nicht Deutschland. Deutschland zieht mit seiner Politik keine Fachkräfte an, sondern das genau Gegenteil. Das ist nicht die Schuld dieser Leute, sondern unsere.

Außerdem ist es moralisch höchst fragwürdig, Fachkräfte aus Schwellen- und Entwicklungsländern abzuwerben, die dort noch dringender gebraucht werden als hier. Das Ergebnis ist ein Brain-drain, ein intellektuelles Ausbluten dieser Länder und ein Abschneiden ihrer Entwicklungsmöglichkeiten. Das ist im Grunde genommen ein neokoloniales Konzept der Ausbeutung dieser Länder. Man raubt ihnen jetzt nicht mehr die Rohstoffe, das Öl, das Gold, das Holz, die Erze, man nimmt ihnen stattdessen die wichtigste Ressource zum Aufbau von Wohlstand: Das Humankapital. Das werden sich diese Länder auf Dauer nicht gefallen lassen.

Wie schaffen wir es, dass sich Arbeit in Deutschland wieder lohnt? Und was müsste passieren, dass Vorstellung von Familie, einem eigenen Haus und Wohlstand für die Mitte der Bevölkerung wieder erreichbar erscheint?

Das wird nur passieren, wenn wir eine radikale Reform des Gemeinwesens an Haupt und Gliedern durchführen. Wir müssen dafür den Staat radikal zurückstutzen. Ich behaupte: 10 von 14 Ministerien und 99 von 99 Bundesbehörden sind überflüssig und niemand wird es bemerken, wenn wir die abschaffen. Das gleiche gilt für die Regierungen in den Bundesländern. Wir brauchen eine radikale Entschlackung der Bürokratie und eine Streichung von 99 Prozent der Gesetze und Regularien, die seit 1970 erlassen wurden. Wir haben nämlich auch 1970 nicht in der Anarchie gelebt. Wir brauchen stabiles Geld, idealerweise auf Goldbasis, bei dem nicht mehr Zentralbankbürokraten, sondern der Markt den Zins finden und die Kapitalströme steuern. Wir müssen alle Kopfkrankheiten von Gendern bis Klima über Bord werfen und wir müssen radikal privatisieren und mit dem Erlös die Sozialversicherung erst sanieren und dann ebenfalls privatisieren, wenn sie überleben soll.

Wie denken Sie über Reichen-, Vermögen,- und Erbschaftsteuer?

Steuern auf Einkommen und Vermögen lehne ich grundsätzlich ab. Sie sind aus dem Neid und der fiskalischen Gier geboren und sie sind leistungsfeindlich. Neid ist in meinen Augen eine Todsünde und wenn man ihm nachgibt, wird er erst haltmachen, wenn nichts mehr zum Umverteilen da ist.

Wer nach einer „gerechteren“ Verteilung strebt, sollte vor allem am Geldsystem ansetzen. Die Abschaffung des Goldstandards 1971 und die Einführung des ungedeckten Papiergeldes hat es ermöglicht, immer gewaltigere Vermögen an die Finanzoligarchie zu verschieben und so ungeheure Mittel von unten nach ganz oben, an die reichsten 0,01 Prozent der Bevölkerung zu verteilen. Wenn man das abstellt, so wird es sehr schnell zu einer marktgerechten und viel gleicheren Verteilung kommen, ohne dass dabei Raub im Spiel sein muss.

Wenn es nach mir ginge, dürfte der Staat außerdem noch nicht einmal wissen, was ich verdiene oder was mir gehört. Das ist meine Privatsphäre. Wenn wir den Staat so schrumpfen, wie notwendig für eine Wiedergeburt Europas, dann braucht er das Geld auch gar nicht mehr. Es genügt dann eine Konsumsteuer von etwa 10 Prozent des Bruttosozialprodukts für seine Aufgaben.

20 Jahre wurde dauerhaft von der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands geschwärmt. Wo genau ist sie hin und wie konnte das Gefühl wirtschaftlicher Stärke so schnell verpuffen?

Das ist schon seit 15 Jahren eine Illusion, die nur von der politischen Propaganda aufrechterhalten wird und vom Leben aus der Substanz. Die wirtschaftliche Stärke gründete sich auf der kurzen Phase echter Marktwirtschaft in den 50er und 60er Jahren. Dann kam eine Phase zunehmender sozialistischer Experimente, aber mit einer noch starken Restmarktwirtschaft. Seit der Regierungsübernahme von  Merkel ist das System zur quasisozialistischen Planwirtschaft mit einem zu kleinen marktwirtschaftlichen Hilfsmotor degeneriert. Das Verpuffen fand über Jahrzehnte statt und libertäre Ökonomen wie von Hayek, Baader und anderen haben davor gewarnt. Dass es scheinbar jetzt so schnell geht, ist der Tatsache geschuldet, dass jetzt die Rechnung präsentiert wird und wir zugleich die wirtschaftlich inkompetenteste Regierung aller Zeiten haben.

Markus Krall hält digitale Zentralbankwährungen für die größte Bedrohung unserer Freiheit überhaupt (Foto: Insa Gonzalez).

Die Politik hat die Zeitenwende für die Bundeswehr eingeläutet. Über Jahrzehnte hinweg wäre ein militärisch starkes Deutschland weder den eigenen intellektuellen Eliten, noch dem europäischen Ausland vermittelbar gewesen. Sehen Sie Deutschland ernsthaft militärisch erstarken? Oder ist dies das nächste phänomenale Milliardengrab der Politik?

Es ist eindeutig letzteres. Zunächst ist es bemerkenswert, dass man 100 Milliarden Schulden aufnimmt für militärische Anschaffungen und dann die Schulden Sondervermögen nennt. Das gibt es wohl nur in Deutschland. Seitdem haben sich die Fähigkeiten der Bundeswehr nur noch verschlechtert. Material und Munition wird an die Ukraine verschenkt (Die USA verkaufen die Waffen an die Ukraine, verschenkt wird da nichts) und in einem Konflikt verheizt, dessen Ausgang bestenfalls ungewiss ist, dessen Mechanik aber nicht zu unseren Gunsten zu laufen scheint.  Dazu kommt: Ein Konzept für eine nachhaltige Verteidigungsfähigkeit ist nirgendwo in Sicht. Außer Treueschwüren zu den USA habe ich da bisher nichts gesehen.

Wie viel sozialen und wirtschaftlichen Abschwung brauchen wir, damit Parteien wieder zum Vorteil des deutschen Volkes agieren und nicht nur das eigene Klientel bedienen?

Ich fürchte wir brauchen noch sehr viel mehr sozialen und wirtschaftlichen Abschwung, um diesem Wunsch gerecht werden zu können. Ich gehe so weit, zu sagen, dass die Parteien das Problem sind, denn sie sind verantwortlich für die Negativauswahl des politischen Personals und zugleich haben sie sich den Staat zur Beute gemacht. Nie hatten wir so viel Korruption wie heute. Auch hier liegt die Ursache in den Köpfen, und zwar der Politiker. Ich sage: Wer sich in dieser Zeit der zunehmenden Not der Menschen für 400.000 Euro einen Photographen, für 130.000 Euro eine Stilberatung oder einen Visagisten auf Kosten der Steuerzahler leistet, hat eine korrupte Grundhaltung, eine innere Gier, ein schweres charakterliches Defizit. Das ist die Haltung, aus der sich Korruption nährt. Es ist vermessen zu hoffen, dass solche Menschen dem Wohl des Volkes dienen.

Was es daher braucht, ist eine Krise, die so tief ist, dass sich Mehrheiten finden für eine fundamentale Reform, und das beinhaltet ein massives Zurückdrängen der Rolle der Parteien. Das Grundgesetz billigt den Parteien in Artikel 20 eine Rolle zu. Dort steht: „Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Ihnen wird eine dienende, vermittelnde Rolle zuerkannt. Das ist nicht das, was wir haben. Wir können schon froh sein, wenn die Parteien dem Volk noch eine Mitwirkung zubilligen. Wenn wir das nicht ändern, dann dürfen wir uns nicht darüber wundern oder beschweren, wenn die Belange des Volkes an letzter Stelle kommen.

Gute Bildung ist alles, was zählt, heißt es. Wie denken Sie darüber? Unser öffentliches Schulsystem ist marode, eine wirkliche Leistungsauslese politisch nicht gewollt und Wissen mittlerweile im Internet allumfassend abrufbar.

Die Abrufbarkeit des Wissens ist nicht unser Problem. Im Gegenteil, das ist, wenn man sich nicht von den Suchmaschinen manipulieren lässt, ein Fortschritt. Die Voraussetzung für die Nutzung von Wissen ist aber eine starke Basisbildung, in Lesen, Schreiben, Textverständnis, Analytik, Rechnen, Sprachen, Naturwissenschaften und Allgemeinbildung. Ohne das ist die Informationsflut unserer Tage durch das Internet nur nutzloses Rauschen, die Menschen nicht in der Lage, Wichtiges vom Unwichtigen zu unterscheiden und Informationen in bessere Entscheidungen und produktive Fähigkeiten umzusetzen.

Die Bildungskatastrophe ist nach meiner Überzeugung politisch gewollt. Ihre ideologischen Grundlagen sind der Wille zur Gleichmacherei (nicht Chancengleichheit, sondern Gleichheit im Ergebnis war das Ziel) und die bessere politische Manipulierbarkeit durch die Herrschenden. In dieser Rolle der weisen Elite sehen sich vor allem die sozialistischen Kader. Es wird Jahrzehnte dauern, den Schaden zu korrigieren, den diese Leute angerichtet haben. Allerdings ist auch hierfür die Krise hilfreich. Der Kollaps der Sozialsysteme wird jeden Mann und jede Frau im Land zwingen, irrelevantes Scheinwissen über Bord zu werfen und sich auf das relevante und wichtige zu konzentrieren. Not fokussiert das Gehirn.

Wie viel wirtschaftlicher Druck steckt hinter der Umweltbewegung? 

Die Umweltbewegung ist scharf zu unterscheiden von der Klimabewegung. Die Klimabewegung ist eine Koalition korrupter Industrieinteressen und neosozialistischer autoritärer politischer Interessen. Diese Koalition von Konzernen und Staat hat einen Namen, nämlich Faschismus. Die Methoden ähneln sich daher nicht zufällig. Der wirtschaftliche Druck ist leicht zu erkennen, wenn man dem investigativen Prinzip „Follow the Money“ folgt. Wer finanziert die Aktivisten? Wer profitiert von den Subventionen? Wem nutzen die Verbote? Dann wird schnell klar: Die gesamte Klimabewegung ist von wirtschaftlichen Interessen dominiert und kontrolliert.

Die BRICS Staaten planen eine goldgedeckte BRICS-Währung. Ist die globale Pole Position des US-Dollars in Gefahr?

Die BRICS-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, ist ein ursprünglich mal von Goldman-Sachs so getaufter Club von Ländern, dessen politische Dynamik sich in den letzten Jahren verselbständigt hat. Diese 5 erzielen einen Handelsbilanzüberschuss von zuletzt fast einer Billion Dollar pro Jahr (2022) und möchten das Loch im Eimer begreiflicherweise stopfen, das durch die Leitwährungsfunktion des Dollars bei ihnen entsteht: Diese Länder liefern Güter und Rohstoffe, werden in diesem System mit Dollars bezahlt und diese werden anschließend durch das Drucken frischer Dollars inflationär entwertet. Das ist eine Art von Tributsystem, das diese Länder abschaffen und durch eine goldgedeckte Handelswährung ersetzen und künftig mit dieser Währung bezahlt werden wollen, in anderen Worten mit Gold. Die einzig offene Frage ist noch, ob sie das in kleinen oder in großen Schritten einführen werden, Salamitaktik oder „Cold Turkey“?

Ihr Hebel ist der gewaltige Handelsbilanzüberschuss und der Hunger des Westens nach Importen zur realwirtschaftlichen Abfederung der staatlichen Defizitwirtschaft. Letztlich alimentieren diese Länder die Unfähigkeit der westlichen Politiker Fiskaldisziplin zu üben.

Wenn die BRICS, die eine Warteliste von 40 Ländern mit Beitrittsanträgen haben, das durchziehen, dann dürfte das gewaltige Implikationen haben.

Um ein Defizit von einer Billion in Gold zu bezahlen, benötigt man nach aktuellem Kurs ca. 16.000 Tonnen – pro Jahr! Die Reserven des Westens wären in weniger als 2 Jahren aufgezehrt. Alternativ müsste der Westen das Gold auf dem Weltmarkt kaufen, das würde aber zu einer Explosion des Goldpreises um den Faktor 10 führen. Die Importe würden sich gewaltig verteuern und die Inflation in den USA und Europa würde ungeahnte Höhen erklimmen. Es bleibt die dritte Variante, nämlich eine drastische Reduzierung des Leistungsdefizits. Das würde die realwirtschaftlich verfügbare Gütermenge im Westen reduzieren und die Staaten zwingen, ihre Staatsdefizite massiv zu reduzieren, damit die Defizite nicht ebenfalls massiv inflationär wirken. Variante 4: Alles drei im richtigen Gemisch.

So oder so: Das doppelte Defizit der westlichen Länder bei Staatshaushalten und Leistungsbilanz ist nicht länger finanzierbar und die Leitwährungsfunktion des Dollars steht in Frage.

Sprechen wir über digitales Geld,  genannt CBDC: Amazon ist eine von 5 Fintech- und eCommerce-Firmen, die den digitalen Euro-Prototypen für die EZB entwickeln und für den Alltag testen. Laut Amazon soll digitales Geld Zahlungen effizienter machen und Innovationen fördern. Was glauben Sie: Wann kommt der E-Euro? 

Der Fahrplan, den die EZB zur Einführung ihrer digitalen Zentralbankwährung verkündet hat, sieht 2027/28 als Termin vor. Ich habe Zweifel, dass der E-Euro kommt aus einem einfachen Grund: Sein Fahrplan kollidiert mit einer sich gerade entfaltenden Banken- und Finanzkrise, die das Resultat von Inflation, Zinserhöhung und Lieferkettenzerstörung sind. Die EZB verliert dabei die Glaubwürdigkeit, die sie benötigt, um diesen Schritt vollziehen zu können.

Und was bedeutet das digitale Zentralbankgeld, kurz CBDC, für die Menschen?

Ich halte digitale Zentralbankwährungen für die größte Bedrohung unserer Freiheit überhaupt. Sie werden die technische Voraussetzung für die Abschaffung von Bargeld schaffen und es dem Staat in Gestalt der Zentralbank ermöglichen, ein System totaler Bürgertransparenz und Kontrolle einzuführen. Digitale Währung als Monopol bedeutet, dass der Staat weiß, was wir uns als 6-jährige für die ersten 50 Cent Taschengeld gekauft haben. Die erste Tüte Gummibärchen ist genauso registriert, wie die erste Tüte Gummis und der erste Playboy, das erste Auto und die erste online Bestellung für was auch immer. Wir werden jeglicher Privatsphäre beraubt, transparent, erpressbar und auch steuerbar.

Die Verknüpfung dieser Daten mit einem social Scoring System nach chinesischem Muster ist dann eine Frage der Zeit. Der Staat kann dann entscheiden, dass wir unser CO-2 Konto überzogen haben, uns Flug- oder Zugtickets verwehren, oder die nächste Tankfüllung für unseren ach so bösen Verbrenner. Er kann uns hindern Fleisch zu kaufen und uns zwingen, die Tüte mit den knackigen Insekten zu nehmen, er kann uns in unserer Wohnung einsperren und uns jede Bewegungsfreiheit nehmen, wenn es ihm passt. Das ist der Instrumentenkasten der Tyrannei.

Interview: Katja Eckardt

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„Geldanlage ist eine Reise, kein Rennen“ https://materialist.media/geldanlage-ist-eine-reise-kein-rennen/ Sun, 20 Nov 2022 16:20:25 +0000 https://materialist.media/?p=4108 Warum Marty Flanagan, Chef der Fondsgesellschaft Invesco, weiterhin an die Macht von Innovation, Wachstum und Unternehmensgewinnen glaubt.

INTERVIEW//THOMAS GARMS

Wird es wegen der höheren Inflation schwierig, mit Geldanlagen künftig reale Gewinne zu erzielen?

Die Inflation kann die realen Ersparnisse und Anlagerenditen aufzehren. Eine sehr hohe Inflation hat tendenziell negative Auswirkungen auf Aktien und vor allem Anleihen, da sie die Zentralbanken dazu zwingt, die Zinsen deutlich anzuheben. Eine moderate Inflation ist tendenziell positiv für Aktien.

Wann wird die Inflation wieder zurückgehen?
Das ist schwer zu sagen. Die hartnäckig hohe Inflation bereitet mir weiterhin Sorgen – die Teuerung wird nachlassen, aber vermutlich noch länger über dem Zielwert der Zentralbanken verharren. Außerdem ist zu bedenken, dass es der Fed leichter fallen dürfte als der EZB, die Inflation in den Griff zu bekommen, da in den USA mehr inflationäre Kräfte am Werk sind, die die Fed steuern kann. In der Eurozone dagegen sind die Energiepreise ein wesentlicher Treiber der Inflation und darüber hat die EZB keine Kontrolle.

Marty Flanagan, CEO von Invesco.

Ist es mit den großen Vermögenszuwächsen während der letzten Dekade erst einmal vorbei?
Auch wenn wir derzeit eine Phase großer geldpolitischer Unsicherheit und globaler Instabilität erleben, glaube ich auch weiterhin an die Macht von Innovation, von Wachstum und Unternehmensgewinnen. Denken Sie an große innovative Sprünge der Vergangenheit wie die Erfindung des Rads, des Buchdrucks, des Internets: Sie kamen und brachten Fortschritt und Prosperität – unabhängig von Krisen und Kriegen. Ich bin mir sicher, dass die Innovationen von heute, sei es die Blockchain, die Robotik, saubere Energien oder sonstige, langfristig ebenso zu Unternehmensgewinnen und damit einhergehenden Vermögenszuwächsen führen werden.

Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Zukunft der kapitalgedeckten Altersvorsorge?
Ich bin da sehr optimistisch, weil langfristig die höchsten Renditen eben nur mit Aktien zu erwirtschaften sind und die umlagefinanzierte Altersvorsorge keine Konkurrenz dazu darstellt. Denken Sie an die (für Rentensysteme) ungünstige Demografie in vielen Ländern, etwa in Deutschland. Immer weniger Arbeitnehmer müssen immer mehr Rentner finanzieren: Dieses System stößt an seine natürlichen Grenzen. Und da kommt die kapitalgedeckte Altersvorsorge ins Spiel. Anleger haben zunehmend Vertrauen in dieses System, wie uns zum Beispiel in Deutschland die zunehmende Zahl der ETF-Sparpläne eindrucksvoll zeigt. Private Anleger haben in den letzten Jahren enorm dazugelernt und verstehen mittlerweile sehr gut, dass zwischenzeitliche Einbrüche am Aktienmarkt temporärer Natur sind und man langfristig profitieren kann, wenn man sie aussitzt und einen langfristigen Anlagehorizont hat. 

Was genau steckt hinter dem Begriff des sogenannten faktorbasierten Investierens oder auch Smart Beta Investing?
Fundamentale Fondsmanager führen oft Unternehmens-Research durch, um interessante Aktien zu identifizieren, von denen sie in einem bestimmten geschäftlichen, makroökonomischen Marktumfeld eine Outperformance erwarten. Ihre Betrachtungen ergeben typischerweise Portfolios mit hohem Überzeugungsgrad, deren Ziel es ist, in erster Linie von aktienspezifischen Performancetreibern zu profitieren. 

Was macht der Factor-Investor anders?

Dieser analysiert den Markt auf der Basis von sogenannten Faktoren. Sie wurden durch akademische Forschung identifiziert und erklären größtenteils die langfristige Aktienperformance. Um Faktoren zu berücksichtigen, wählt ein Portfoliomanager systematisch Aktien auf der Basis bestimmter Merkmale aus.

Und das Risikomanagement?

Während ein fundamentaler Manager darauf abzielt, Portfolios mit aktienspezifischen Risiken zu konstruieren, ist ein Factor-Investor bestrebt, aktienspezifische Risiken durch Diversifizierung auszuschalten, indem er Portfolios mit Exposures gegenüber beabsichtigten Faktormerkmalen konstruiert.

Für viele Menschen stellt die private Immobilie den wichtigsten Teil des Vermögens dar. Sind Immobilien überhaupt noch eine sichere Anlageform?
Ausschließlich aus Inflationsschutzgründen würden wir Immobilieninvestments nicht empfehlen. Wer bereits eine eigengenutzte private Immobilie besitzt, spart sich die Miete. Hinsichtlich vermieteter Immobilien sieht es anders aus. Gerade im deutschen Markt ist es angesichts der starken Regulierung aus meiner Sicht fraglich, ob die Mieten stark steigen können und somit Schutz vor Inflation bieten. Da sind unsere Kunden mit einem global ausgerichteten Real-Estate-Produkt sehr viel besser aufgestellt. 

Bieten sogenannte Strategiefonds mehr Sicherheit vor Vermögensverlust als andere Fonds?
Wer sich für Investmentfonds entscheidet, trifft prinzipiell eine gute Wahl. Eine Garantie auf Erfolg bietet weder ein hochkonzentriertes Portfolio, das eine bestimmte Strategie abbildet, noch ein marktbreit investierender ETF. Am Ende macht es die Mischung aus. Bei Invesco stellen wir unseren Kunden ein umfassendes Lösungsangebot bereit, das alle Assetklassen und alle Anlageregionen abdeckt.

Sind ETFs die Lösung für alles oder sind sie generell das falsche Instrument für die aktuelle Marktphase?

Das ist eine wichtige Frage. ETFs sind eine sehr gute Erfindung, die unterschiedlichen Anlegerbedürfnissen gerecht werden kann – daran gibt es keinen Zweifel. Aber jeder Anleger muss sich auch anschauen, was in so einem Indexfonds eigentlich genau drinsteckt. Die meisten ETFs folgen ja dem Prinzip der Marktkapitalisierung, das heißt: Aktien mit einem hohen Börsenwert kommen auch im ETF auf einen hohen Anteil. Das ist zum Beispiel bei Technologieaktien der Fall, die aktuell unter Druck stehen. Wir empfehlen immer ein Portfolio, das sowohl aktive und passive als auch alternative Investments umfasst, wobei gewährleistet sein muss, dass die Anleger verstehen, was in ihrem Indexfonds steckt, um eine abträgliche Konzentration zu vermeiden.

Wie lange wird sich der Höhenflug des Dollars noch fortsetzen?
In den Lehrbüchern steht, dass es eine Vielzahl von Faktoren gibt, die den US-Dollar beeinflussen. Das stimmt sicherlich auch. Für die Aufwertung des US-Dollars gibt es aber im Wesentlichen drei Gründe: Wachstumsunterschiede, Zinsunterschiede und die Nachfrage nach US-Dollar als sicheren Hafen. Daher dürfte die Dollar-Stärke andauern, bis sich bei einem oder mehreren dieser Faktoren etwas ändert – und die Fed hat bei allen dreien die Hände im Spiel. Wenn die Fed umschwenkt und das Tempo der Zinserhöhungen verlangsamt, dürfte der Dollar schwächer werden – vor allem, wenn andere Zentralbanken ihren Straffungskurs fortsetzen.

Wo sehen Sie den Dow-Jones in fünf Jahren?
Ich habe keine Glaskugel. Aber die langfristige Erfahrung sagt uns, dass er höher stehen wird als heute.

Muss man sich Sorgen machen um den Mittelstand in Europa? 
Nein. Börsennotierte kleinere und mittlere Unternehmen haben generell – nicht nur in Europa – besonderes Wachstumspotenzial verglichen mit Blue Chips, was sich langfristig in attraktiven Unternehmensgewinnen niederschlägt. Small- und Mid-Caps sind nach wie vor interessante Bestandteile eines global diversifizierten Portfolios, unabhängig davon, ob sie sich in Europa oder anderen Regionen der Welt befinden.

Für manche Experten stellen Klimarisiken auch Investitionsrisiken dar. Wie sehen Sie das?
Bestimmte Kunden, vor allem unsere institutionellen Kunden, haben Sorgen über potenzielle klimabezogene Anlagerisiken geäußert. Unsere Investmentteams betrachten stets eine Vielzahl unterschiedlicher Risiken – einschließlich klimabezogener Risiken. Wir bieten Kunden, die vom wachsenden Interesse an Klimatechnologien und -innovationen profitieren wollen, ein breitgefächertes Angebot an Anlagestrategien.

Der europäische Aktienmarkt gehört mittlerweile zu den günstigsten. Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, hier wieder einzusteigen?
Die Bewertungen sind aktuell sehr attraktiv. Anleger sollten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass das Bewertungsniveau auf kurze Sicht kaum als Performance-Indikator taugt, auf lange Sicht in der historischen Betrachtung aber durchaus. Wir glauben, dass sich an den europäischen Aktienmärkten aktuell attraktive Einstiegsmöglichkeiten bieten. Anleger sollten aber Geduld mitbringen, da kurzfristig mit einer erheblichen Volatilität und einigem Gegenwind zu rechnen ist. Generell ermutigen wir Anleger dazu, einen langfristigen Investmentansatz zu verfolgen. Für die meisten Anleger bedeutet das, im Rahmen eines breit diversifizierten Portfolios auch weiterhin europäische Aktien zu halten.

Gehört auch China in eine breit gestreute Geldanlage? Die Spannungen zwischen dem Westen und dem Land haben zuletzt deutlich zugenommen. Es könnte etwas Ähnliches drohen wie im Falle Russlands.

Wir leben in einer Welt enormer Ängste – Geopolitik, Inflation, das Potenzial einer globalen Rezession. Aber manche Ängste sind vielleicht übertrieben. Aus Anlegersicht sollte man auf keinen Fall vorschnell den Glauben an China verlieren. China ist die zweitgrößte und eine der wachstumsstärksten Volkswirtschaften der Welt. Außerdem öffnet das Land seine Märkte weiter. Natürlich gibt es Risiken, aber die gibt es in jedem Markt, gerade auch in jedem Schwellenmarkt.

Gibt es etwas, wovor Sie Angst haben?
Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, im realen wie im Geschäftsleben. Wer allerdings überhaupt keine Angst hat, läuft Gefahr, Risiken zu übersehen und sich in unkalkulierbare Abenteuer zu stürzen. Wir haben das Privileg, ein Anlagevermögen von 1,3 Billionen US-Dollar (Stand 30. September 2022) für unsere Kunden überall auf der Welt zu verwalten. Wir tragen hier eine sehr große Verantwortung, denn mit dem uns anvertrauten Geld helfen wir unseren Kunden, ihre Lebensziele zu erreichen, etwa die Aufrechterhaltung des Lebensstandards im Alter oder die Ausbildung der eigenen Kinder. Das erinnert mich daran, stets zu überprüfen, dass wir mit unseren Investitionen das Richtige tun und die richtigen Entscheidungen treffen, um unseren Kunden zu helfen, ihre Anlageziele zu erreichen.


Sie lancierten kürzlich den Invesco Metaverse Fund. Er setzt auf Sektoren, die von der Entwicklung immersiver virtueller Welten profitieren. Was macht Sie sicher, dass das für Anleger ein gutes Geschäft ist? 
Die Metaverse-Anwendungen in der Unterhaltungsbranche sind ja bereits bekannt. Darüber hinaus erwarten wir, dass die durch das Metaverse ermöglichte Interkonnektivität so unterschiedliche Branchen wie Gesundheit, Logistik, Bildung und Sport von Grund auf verändern wird. Unser Investmentteam sieht in mehreren Teilsegmenten des Metaversums – über die bekannten Metaverse-Plattformen hinaus – spannende Geschäftsmöglichkeiten für Unternehmen. Das größte Potenzial bietet sich in diesem frühen Stadium bei den Unternehmen, die an der Entwicklung der nötigen Infrastruktur zur Freisetzung des vollen Potenzials des Metaversums beteiligt sind.

Der Blockchain als Zukunftstechnologie trauen Sie eine Menge zu. Warum?
Weil sie unser aller Leben sicherer und einfacher machen wird. In den nächsten 20 Jahren wird sie das weltweite Finanzsystem in einer Weise verändern, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Die Finanzdienstleistungsbranche ist bei der Entwicklung von Blockchain bereits weit fortgeschritten – sie investierte 2021 rund acht Milliarden Dollar in die Blockchain-Forschung und -Entwicklung und wird bis 2024 jährlich 19 Milliarden Dollar ausgeben. Auf ihre Art ist sie so umwälzend wie die Erfindung des Internets.

Auch privat setzt Marty Flanagan auf den gesunden Menschenverstand beim Investieren.

Wie lautet Ihre persönliche Gewinnstrategie?
Aus meiner eigenen Erfahrung bin ich zur folgenden Überzeugung gekommen: Die Geldanlage ist eine Reise, kein Rennen. Der gesunde Menschenverstand ist die Grundlage eines erfolgreichen Investmentprogramms. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Märkte kurzfristig volatil sind. Außerdem muss man sich darüber bewusst sein, dass es fast unmöglich ist, die Marktentwicklung kurzfristig verlässlich vorauszusagen. Daher investieren erfolgreiche Anleger auch langfristig und setzen auf breit diversifizierte, auf ihre persönlichen Ziele ausgerichtete Portfolios.

Welche Rolle spielt der Einstiegszeitpunkt?

Der Anlagehorizont ist wichtiger als der Einstiegszeitpunkt. Kluge Anleger haben gelernt, dass sie wahrscheinlich höhere Renditen erzielen und zugleich ihr Risiko reduzieren können, wenn sie beim Aufbau ihrer Portfolios ein möglichst großes Anlageuniversum in Betracht ziehen. Ein Sparplan, der auf die individuellen Anlageziele und Risikotoleranz abgestimmt ist, ist ein sehr wirkungsvolles Instrument.

In welchem Alter sollte man damit beginnen, Geld anzulegen?

Es ist nie zu früh, mit dem Sparen und der Geldanlage für die Zukunft zu beginnen. Die eigenen langfristigen Anlageziele zu erreichen, ist wichtiger, als den Markt zu schlagen. Das sollte man nie vergessen und dementsprechend klug investieren.

Im Moment haben wir unter dem Strich jedoch keine besonders gute Ausgangslage für Börsengänge, solange die Bewertungen deutlich unter dem vorherigen Niveau liegen. Zudem findet eine Art Marktbereinigung statt. Viele Start-ups müssen aufgeben. Welche Zeichen des Markts braucht es, damit sich das Investitionsklima wieder verbessert?

Wir brauchen vor allem wieder geldpolitische Stabilität, dann wird auch ein Klima der Zuversicht zurückkehren, in dem Mut und unternehmerisches Engagement gedeihen können. Ich bin zuversichtlich, dass wir hier auf einem guten Weg sind, denn die Notenbanken tun alles, um die derzeit noch grassierende Inflation zu bekämpfen. Erste Erfolge sehen wir bereits jetzt, denken Sie an die gesunkenen Rohstoffpreise.

Die Globalisierung scheint sich aktuell aus geopolitischen Gründen teilweise wieder rückwärts zu entwickeln. Ist das eigentlich wirklich so schlimm oder liegen in der nationalen Rückbesinnung nicht auch Chancen?
Was wir derzeit teilweise sehen, sind in der Tat nationale Alleingänge und Nachwirkungen der Coronakrise. Ich glaube aber nicht, dass diese von Dauer sein werden, denn die Welt profitiert insgesamt zu sehr von der globalen Vernetzung. Wollen wir wirklich wieder eine Welt des Protektionismus, der Zölle und Handelsbeschränkungen? Ich glaube zwar nicht, dass sich die Globalisierung insgesamt zurückdrehen lassen wird, aber Corona und die Energiekrise haben gezeigt, dass Lieferketten instabil sein können und es sinnvoll ist, sich nicht auf einen einzigen Lieferanten zu verlassen, gerade in Deutschland mit seiner Energieabhängigkeit von Russland.

Welche Voraussetzungen braucht es, damit die nächste große Börsenhausse starten kann?

Vor allem braucht es wieder Vertrauen in die Stabilität unseres Geldes. Wenn die Marktteilnehmer merken, dass sich die globale Inflation zu stabilisieren beginnt, wird die Unsicherheit nachlassen und den Boden bereiten für wieder mehr Mut und Vertrauen in Technologien, die unser aller Leben zum Positiven ändern können. Nehmen Sie zum Beispiel die Blockchain. Momentan wird sie vor allem mit dem Bitcoin in Verbindung gebracht und fristet noch ein Schattendasein. Wenn sich aber der Rauch gelegt haben wird, wird der Blick frei werden für das unermessliche Potenzial, das diese Technologie bietet – jenseits von Digitalwährungen.

Wie lautet ihr Ausblick fürs nächste Jahr?
Das globale Wachstum lässt weiter nach. Die Inflation ist hoch und wird hoffentlich bald ihren Höchststand erreichen, aber die entscheidende Trendwende haben wir noch nicht gesehen. Das Risiko eines geldpolitischen Fehlers, der zu einer Rezession mit potenziell weltweiten Auswirkungen führen könnte, ist gestiegen. Durch die negativen Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs befindet sich Europa in einer Position großer Schwäche. Unterdessen wird es angesichts der anhaltenden Zinserhöhungen der Fed immer wahrscheinlicher, dass die US-Wirtschaft kurz vor einer Rezession steht. Darüber hinaus führt die Stärke des US-Dollars, hinter der ebenfalls die aggressive Fed-Geldpolitik steht, zu weltweitem Stress. Eine aggressive Straffung der Geldpolitik in einer Zeit zunehmender Anzeichen einer weltweiten Abschwächung der Wirtschaft ist negativ für die Märkte und wir rechnen mit einer anhaltenden Marktvolatilität. Diese dürfte noch mehrere Monate anhalten. 

Woher nehmen Sie dann Ihren Optimismus?

Unser Basisszenario für die Weltwirtschaft ist das einer relativ kurzen Kontraktionsphase. Diese definieren wir als ein Wachstum unter Trend, das weiter an Fahrt verliert. Die Inflation sollte langsam nachlassen, sodass die Zentralbanken in der ersten Jahreshälfte 2023 das Ruder herumreißen können sollten. Daher rechnen wir im weiteren Verlauf des nächsten Jahres mit einer Erholung – geprägt von einem Wachstum, das zwar weiterhin unter Trend liegt, aber wieder steigt, und einer besseren Aktienperformance.

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