Mit dem Kunstkauf gehen viele Vorurteile einher. Eines davon: in erster Linie eine Lifestyle-Attitüde von Menschen, die sonst schon alles haben. wie denken Sie darüber?
Ja, dabei handelt es sich um eines der gängigsten Vorurteile, dass Kunst viel kostet und nur etwas für Vermögende ist. Aber eigentlich ist Kunst für alle da. Das war das Anliegen der Pop- und Street Artists aus den 1980er Jahren. Unvergessen das Motto von Keith Haring: „Art is for everybody“, das nicht komplett umgesetzt, aber heute mit Banksy wieder aufgenommen wurde. Es gibt erschwingliche Kunstwerke für kleine Budgets, man muss nur wissen, wo und wie man gute Qualität zu einem fairen Preis findet.
Kunst als eine Art von Therapeutikum?
Kunst kann auf jeden Fall ein wunderbares Thema sein, mit dem man sich ein ganzes Leben lang beschäftigen kann. Am schönsten ist es, ein Thema zu finden, das fasziniert und in das man sich einarbeitet. Dann wird man zum Experten eines bestimmten Künstlers, einer Epoche oder Stilrichtung.

Woher kommt dann die Zurückhaltung viele Menschen beim Kauf von Kunst?
Der Hauptgrund ist die mangelnde Transparenz bei den Preisen. Niemand versteht, warum einzelne Kunstwerke eine bestimmte Summe kosten. Wenn Menschen dann über die Medien von Auktionsrekorden lesen, deren Preise sie überhaupt nicht nachvollziehen können, schreckt dies weiter ab.
Manch einer, der in Sachwerte investieren möchte, sucht sich dann wohl lieber einen Oldtimer aus, da hier die Preise einigermaßen nachvollziehbar sind.
Die gute Nachricht: Die Situation wird besser. Die Pandemie hat die Digitalisierung des Kunstmarkts forciert und damit einhergehend die Veröffentlichung von Preisen nach sich gezogen – vor allem im Bereich bis 5.000 Euro. Diese neue Transparenz hat dazu geführt, dass über ein Drittel des gesamten Umsatzes am Kunstmarkt online erzielt wird. Besonders junge Menschen gehören hier zu den Käufern: Click & Buy.
Gibt es eine Regel, die einem dabei hilft, die richtige Kunst für sich auszusuchen?
Die wichtigste Regel ist, nur das zu kaufen, was gefällt. Dazu sollte man sich so viel wie möglich anschauen, damit man erst einmal herausfindet, was einem langfristig zusagt und fesselt. Das bedeutet, in sich zu investieren, so viel wie möglich über Kunst zu lernen und nur zu kaufen, wenn man sich auskennt. Diese beiden Regeln, „Investiere in dich selbst“ und „Kaufe nur, wenn du eigentlich nicht wieder verkaufen möchtest“ empfiehlt Warren Buffett auch bei Käufen von Unternehmensanteilen, die ich in meinem Buch „Kunst kaufen“ auf den Kunstmarkt übertragen habe.

Untersuchungen zeigen, dass sich die Millenials viel stärker für Kunst interessieren als vormals die Generation der Baby Boomer. Woran liegt das?
Besonders in Deutschland ist die Generation der Baby Boomer noch besonders von einem akademischen Respekt in Bezug auf Kunst geprägt. In England oder den USA gehen Menschen schon länger entspannter mit Kunst um. Gerade die jüngere Generation, die durch das Internet geprägt ist, hat keine Berührungsängste, auch online zu kaufen. Besonders in Asien haben junge Menschen durchaus bis 20 Prozent Kunst im Depot – in Europa nur 5 bis maximal 10 Prozent, wenn überhaupt.
Muss Kunst automatisch teuer sein?
Auf keinen Fall – auch wenn es Menschen gibt, die nur teure Kunst kaufen, weil sie glauben, dass dies mit Qualität verbunden ist. Aber das hat mit der bereits beschriebenen mangelnden Transparenz zu tun. Hervorragende Unikate im unteren vierstelligen Bereich findet man bei Akademieabsolventen. Auch bei Unikaten und Editionen von bekannten internationalen Künstlern kann man gute Schnäppchen machen, vor allem auf Auktionen.
Haben Sie noch einen speziellen Tipp?
Wenn es um Kunst als Investment geht gilt wie überall: Die Rendite liegt im Einkauf. Insofern sollte der Preis unter dem Wert liegen, sonst hat man überteuert gekauft und wird kein gutes Investment machen. Teure Kunst wird somit als Geldanlage uninteressant. Und selbst wenn dieser Aspekt nicht im Vordergrund steht: Niemand möchte irgendwann feststellen, dass er zu viel bezahlt hat.
Gibt es eine Faustformel, nach der man den Preis eines zeitgenössischen Kunstwerks halbwegs verlässlich fixieren kann?
Bei jungen Künstlern gibt es diese auf jeden Fall. Es ist die sogenannte Faktorrechnung, die in Deutschland an Akademien und Galerien angewandt wird. Damit wird der Preis eines Kunstwerks nach Fläche berechnet: Höhe plus Breite mal Faktor. Bei Akademieabsolventen im Abschlussjahr liegt der Faktor in der Regel zwischen 10 und 13. Sobald Künstler ausstellen oder Verträge mit Galerien eingehen, kann der Faktor deutlich ansteigen und sich durchaus verdoppeln.
Unter welchen Bedingungen eignet sich Kunst als Kapitalanlage?
Nur ganz wenige Kunstwerke eignen sich als Investment. In der Regel sind dies Werke von Künstlern, die jeder kennt: Picasso, Warhol, Banksy. Aber nicht jedes Werk dieser Klassiker ist eine gute Kapitalanlage. Editionen eignen sich weniger, wobei es Ausnahmen gibt. Sonst sollten es Unikate sein und davon immer die besten.

Worauf sollte man bei der Auswahl eines Bildes achten?
Wie erwähnt, sollte das Bild auf lange Sicht gefallen, das ist das wichtigste Kriterium. Vorab eine Qualitäts- und Preisrecherche zu machen, ist unbedingt notwendig. Das heißt, das gesamte Werke des Künstlers und die Person kennenzulernen, entweder über Recherchen oder direkte Kontakte. Eine Preisanalyse zu machen. Bei kostspieligen Werken ist es unumgänglich, die Echtheit und die Herkunft zu überprüfen.
Was sind die besten Quellen, um Kunst zu kaufen?
Die beste Quelle ist der Künstler selbst. Ein direkter Kauf ist bei Akademieabsolventen noch möglich, in den meisten Fällen später nicht mehr. Denn sobald der Künstler in den (Primär-)Markt eintritt, wird in den meisten Fällen über Drittanbieter, Galerien und Handelsplattformen gehandelt; später im Sekundärmarkt, also wenn das Bild zum zweiten Mal verkauft wird, auch über Auktionen. Meine Empfehlung: bei junger Kunst direkt beim Künstler, bei Klassikern auf Auktionen und dort auch im Nachverkauf schauen. Bei Letzteren immer ein konkretes Preislimit festlegen und dabei bleiben!
Warum verkaufen Künstler ihre Arbeiten nicht direkt über eine eigene Homepage oder Social Media?
Das ist eine gute Frage. Tatsächlich verkaufen mittlerweile einige Künstler über Social Media oder die NFT-Marketplaces ihre Kunst direkt. Bislang war dies absolut unüblich. Banksy ist hier das große Vorbild: Ohne jede Galerie hat er es mit eigener Vermarktung und Verkauf in die Top 10 der teuersten Künstler geschafft. Generell geben Künstler allerdings gern Vermarktung und Verkauf ab, damit sie sich auf die Kunst konzentrieren können. Dies in eigener Regie besser zu machen, als sich auf eine Galerie zu verlassen, liegt aber im Trend und wird sicher noch zunehmen.
Auch ein Pablo Picasso hat mal klein angefangen. Welche Vorgehensweise empfehlen Sie beim Erwerb von junger Kunst?
Bei jungen Künstlern hat man die einmalige Chance, die Person, die hinter der Kunst steht, kennenzulernen. Und nicht nur das, sondern auch, ihre Karriere ein Leben lang mitzuverfolgen und zu begleiten. Daher ist hier empfehlenswert, persönlich mit den Künstlern in Kontakt zu treten, sich über ihr Werk und ihr Anliegen zu informieren. Sich zu fragen, ob sie bereits eine eigene Bildsprache entwickelt haben und wie vielseitig sie in ihrer Ausdrucksform sind. Atelier- und Akademiebesuche sind etwas Besonderes, wenn man gern Farbe riecht und wissen möchte, wie Kunst entsteht.
Wie findet man das passende Motto beziehungsweie den roten Faden für eine Sammlung?
Es sollte ein Thema sein, das langfristig fesselt. Egal was andere sagen: Der rote Faden oder Motto muss einen persönlich berühren und sollte einem nicht von außen angetragen werden, nur weil bestimmte Themen gerade im Trend liegen.
Wie hoch ist die durchschnittliche Marge eines Galeristen?
Der Wert dürfte bei mindestens 40 bis 60 Prozent liegen.
Hat man üblicherweise einen gewissen Verhandlungsspielraum?
Absolut. Gerade wenn man die Preise überprüft hat, ist die Chance gut, den Preis neu zu verhandeln.

Was halten Sie von den neuen Online-Marktplätzen?
Die Online-Marktplätze bieten vielen Künstlern die Chance, ihre Werke zu präsentieren, die vielleicht nicht durch das Nadelöhr der Galerien gelangt sind Manche möchten auch einfach den Verkauf über weitere Kanäle außer den traditionellen beflügeln. Außerdem können Käufer hier in Ruhe schauen, vergleichen und Fragen stellen, ohne sich unwohl fühlen zu müssen. Bei der Qualitäts- und Preisüberprüfung gelten die gleichen Regeln wie bereits beschrieben.
Alle Welt redet derzeit von NFTs. Warum sollte man sich dafür interessieren?
NFTs sind aus meiner Sicht ein kunsthistorischer Meilenstein, besonders für digitale Kunst. Bislang war digitale Kunst für den Handel nicht interessant, da sie beliebig kopiert werden konnte. Mit der Möglichkeit, von einer digitalen Datei ein NFT zu kreieren, das fälschungssicher, einzigartig und handelbar ist, haben digitale Künstler erstmalig hervorragende Möglichkeiten, ihre Werke zu verkaufen.
Aber nicht nur digitale Kunst, sondern auch jedes analoge Werk, sogar Meisterwerke können mit der NFT-Technik zertifiziert auf der Blockchain hinterlegt werden. Tatsächlich sind schätzungsweise mindestens 30 Prozent aller Werke am Markt und in Museen Fälschungen. Insofern bietet diese Technologie die Möglichkeit, dass jedes neu in den Markt eintretende Kunstwerk fälschungssicher mit einem NFT auf der Blockchain registriert wird. Auch Meisterwerke können in Form von Token fraktionalisiert werden. Damit werden Anteile an teuren Klassikern für jeden Interessenten als Investment erschwinglich.
Welche Faktoren bestimmen den Marktwert einer Arbeit und die des Künstlers?
Zu Beginn spielt die Ausbildung eine große Rolle. Hat der Künstler an einer renommierten Akademie abgeschlossen, sind seine Werke teurer als die von Künstlern ohne diese Ausbildung. Sobald der Künstler Erfolg hat, verliert dieser Aspekt an Bedeutung. Generell bestimmen – wie in anderen Branchen auch – Angebot und Nachfrage den Preis. Stellt der Künstler international aus, nimmt er an der documenta oder Biennale teil, steigt sein Wert sofort. Viel Aufmerksamkeit in der Presse oder in Social Media tragen ebenfalls dazu bei.
Was steckt hinter der von Ihnen entwickeltem RPR Art Methode?
Meine RPR Art Methode hilft beim Aufspüren von guten Investments und dient als Schlüssel zur Bewertung. Zudem biete ich Interessierten damit eine einfache Anleitung zum Kunstkauf in sieben Schritten an. Damit können auch Unerfahrene einen seriösen und für sie passenden Kunstkauf abschließen. Die Methode beginnt mit einer Bestandsaufnahme und der Definition der Zielsetzung: Was gefällt mir, was suche ich? Sie entwickelt sich weiter über eine breite Informationsaufnahme und die Schulung des eigenen Auges, bis stärker eingegrenzt ist, was der Interessierte sucht. Gibt es dann ein Objekt, das zum Kauf in Frage kommt, muss dieses Werk hinsichtlich Qualität und Preis geprüft werden. Sind alle To-dos abgearbeitet, kommt die alles entscheidende Frage: Möchte ich dieses Werk eigentlich jemals wieder verkaufen? Wenn nicht, ist es für einen Kauf geeignet.
In ihrem Buch „Kunst kaufen“ empfehlen Sie, sich an die „Preis Versus
Wert“ Regel zu orientieren. Was steckt dahinter?
Die „Preis versus Wert“-Regel stammt von Investorenlegende Warren Buffett. Der Preis ist das, was man bezahlt, der Wert ist das, was man bekommt. Die Regel besagt: Kaufe dann, wenn der Preis unter dem Wert liegt. Denn das verbessert nicht nur die Investitionsrendite, man hat so auch ein Risikopuffer. Dieses Vorgehen lässt sich für Kunst als Investment anwenden: Das Werk eines Künstlers sollte nur dann gekauft werden, wenn der Preis unter dem Wert liegt. Wenn Künstler beispielsweise gehyped sind, gerade im Trend liegen, sollte man gerade mit Blick auf die Preis-versus-Wert“-Regel genau prüfen, ob ein Kauf lohnend ist oder nicht.
In Amerika ist Kunst oft Teil eines Anlageportfolios. Einer solchen Strategie folgend: über wieviel Prozent des Vermögens redet man da sinnvollerweise?
In Deutschland werden konservativ nicht mehr als 5 maximal 10 Prozent eines Portfolios in Kunst investiert, wenn überhaupt. In Asien investieren junge Leute bis zu 20 Prozent.
Tatsächlicher Wertzuwachs lässt sich erst durch einen Wiederverkauf generieren: werden da nicht oft die Gewinnchancen überschätzt?
Die Herausforderung besteht darin, an einem bestimmten Tag einen Käufer zu finden, der die erwartete Summe bereit ist zu zahlen. Da der Preis auch immer im Auge des Betrachters liegt und somit Geschmack eine Rolle spielt, muss das Risiko immer einkalkuliert werden, nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt verkaufen zu können. Ein langer Atem ist insofern wichtig.
Wenn Sie die Wahl hätten: Warhol oder alte Niederländer?
Auch wenn ich aus kunsthistorischer Sicht eine Gegenüberstellung von alten Niederländern und zeitgenössischer Kunst spannend finden würde: Als Anlageobjekt kommt für mich nach meinen aktuellen Analysen nur ein Werk von Warhol in Frage – jedoch nur dann, wenn der Preis des Werkes unter dem Wert liegt.
Interview: Thomas Garms
ZUR PERSON
Dr. Ruth Polleit Riechert studierte Kunstgeschichte und promovierte an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Sie arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Kunstmarkt und im Marketing der Finanzindustrie (Christie’s, Ketterer Kunst, Deutsche Bank, McKinsey & Company, UBS Art Banking). Seit 2017 berät sie selbstständig Privatkunden, Firmen sowie öffentliche Institutionen unabhängig in Kunstfragen und publiziert regelmäßig Beiträge zum aktuellen Kunstmarkt und Kunst-Investments.
„KUNST KAUFEN“
270 Seiten, Paperback
mit Abbildungen in Farbe
ISBN: 978-3658336233
€ 24,99 (D) | E-Book: € 19,99
Springer Verlag