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Innovation, Verwirrung, Chance
By Editorial Department access_time 10 min read

„Es geht schon wieder los, bitte verschont mich doch“. Dieser oder ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn irgendwo das Gesprächsthema auf Blockchain-Technologie oder Cryptocurrency kommt. Das liegt nicht daran, dass ich von dem Thema müde bin. Ich mag lediglich den allgemeinen Hype nicht. Dabei ist mir natürlich klar, dass insbesondere Themen, welche zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, anfangs auf unterschiedlichste Art und Weise verarbeitet werden. Ob das ausreichend gut informiert geschieht, ist eine andere Frage. Nur eines ist klar: Eine vergleichbare Goldgräber-Stimmung gab es seit dem Aufkommen der Internet-Wirtschaft nicht mehr.

Ansicht einer Blockchain als kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen (Foto: Markus Spiske, unsplash).

 Fangen wir am besten dort an, wo alles begann, nämlich bei Satoshi Nakamoto. Unter diesem Pseudonym wurde das erste Whitepaper veröffentlicht. Diese Blaupause für die erste Blockchain bildet die Basis für jenen wilden Westen, den wir dieser Tage erleben dürfen.

In erster Linie ist es nämlich nicht die Technologie, die ihren Weg in dieKöpfe der meisten gefunden hat, sondern der Wunsch nach Reichtum durch Währungsspekulation. Die digitale Münze ohne Aufsicht, der Bitcoin, sollte das möglich machen. Dass hinter diesem vermeintlich lapidaren Anlageobjekt eine fundamental andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Tragweite steckt, interessiert die meisten vorgeblichen Bitcoin-Millionäre, die gern ihre schönen Frauen und schnellen Autos in den sozialen Medien teilen, nicht.

Mittels Blockchain sind komplett anonyme Geld-Transaktionen möglich (Foto: David Shares, unsplash).

Dabei verfolgt Bitcoin, als Mutter aller Kryptowährungen, einen klaren freiheitlichen Grundgedanken. Es soll den Nutzern ermöglichen, Geldgeschäfte direkt abzuwickeln ohne sich der Überwachung durch Staaten, Banken oder anderen mehr oder weniger sinnvollen Aufsichtsorganen zu unterwerfen. Zusätzlich ist Bitcoin auch noch deflationär angelegt. Klingt doch allgemein erstmal alles verdammt gut. Das Vertrauen in die Institution Bank hat sowieso sehr gelitten seit der letzten Krise, seit exorbitanten Banker-Boni und allgemeiner Währungsunsicherheit nach Griechenland, Irland und dem Brexit-Referendum. Es kommt einem fast schon so vor, als wären Bitcoin und Kryptowährungen ganz allgemein die lang erhoffte Antwort auf überholte Strukturen, nicht nur in Deutschland, sondern im internationalen Finanzsystem. Grundsätzlich kann man das erstmal so unterschreiben. Kryptowährungen stellen eine Möglichkeit dar, sich außerhalb staatlich ausgegebener FIAT-Gelder zu bewegen und politische Dimensionen auszuklammern. Das wären sie zumindest, wenn sie von einem Großteil ihrer Verwender als Zahlungsmittel benutzt würden.

Das Vertrauen in die Institution Bank hat sehr gelitten seit der letzten Krise

Seitdem die Goldgräberstimmung im vergangenen Spätjahr ausbrach, ist dieses Szenario jedoch ziemlich in den Hintergrund gerückt. In dem Moment, als der Bitcoin-Kurs stieg und stieg, begannen sich die Dinge zu überschlagen. Kryptowährungen avancierten von einem vermeintlichen Thema für Geeks zu einem Hype der breiten, vor allem jungen, Masse. Allenthalben tauchten Geschichten auf wie die jenes Pizzaboten, den eine Jahre davor in Bitcoin bezahlte Pizza zum Millionär machte. Ein Bild, dass wir sonst nur von Wallstreet-Gewinnern und Lottomillionären kannten. Ein Zerrbild, das ganz klar mit Sehnsüchten und Glücksrittertum spielt: „Auf einen Trend aufspringen, wenig Geld einsetzen und als gemachte Person das Karussell verlassen.“

Bitcoin wurde zum kontrovers diskutierten, digitalen Gold und von einer real verwendbaren Freiheits-Währung spricht schon kaum mehr jemand. Natürlich wissen eingefleischte Blockchain-Kenner, dass diese Tatsache auch einer langsamen Transaktionsgeschwindigkeit geschuldet war und daher die Alltagstauglichkeit immer wieder rege diskutiert wurde. Alternativwährungen, welche schnellere Transaktionen ermöglichen, landeten jedoch auch im Spiel zwischen Halten und Abstoßen. Hier soll es jedoch darum gehen, was das für den momentanen Markt zu bedeuten hat, worauf Investoren achten müssen und wie die nach wie vor oft ominös erscheinenden Kryptowährungen vielleicht doch längerfristig unsere Gesellschaft verändern können.

Umstritten und riskantes Spekulationsobjekt: Kryptowährungen. Foto: unsplash).

Journalisten und Investoren ließen sich in den vergangenen Monaten immer wieder dazu hinreißen, einerseits den Niedergang der Kryptowährungen zu prophezeien, andererseits aber preisten sie den Siegeszug der dahinterliegenden Blockchain-Technologien weiterhin an. Die Gründe hierfür liegen oftmals im Unverständnis und Misstrauen dem vermeintlichen Finanz-Störenfried gegenüber oder auch in einer Reihe unseriöser Marktteilnehmer begründet. So gehört zum ehrlichen Umgang mit dem Thema sicherlich der Verweis darauf, dass Bitcoin seinen ersten Skandal 2015 mit der Nähe zum Drogenumschlagplatz Silkroad hatte. Ein Fleck auf der weißen Weste, der sich nur schwer herauswaschen lässt. Vielleicht auch deshalb finden in dem einen oder anderen Vortrag die Begriffe Kryptowährung und Darkweb schon fast als Wortgeschwister Verwendung,  inklusive des Hinweises auf die geringe Transparenz der digitalen Währungen.  Bei solchen Verallgemeinerungen ist jedoch Vorsicht geboten. Wir reden hier in erster Linie von einem Finanzprodukt. Wie auch immer geartet, ist dieses zunächst einmal als neutral zu bewerten. Es warnt schließlich auch kaum einer vor den drohenden Gefahren von Bargeld, welches prozentual mit Sicherheit mehr zweifelhafte Transaktionen möglich macht, als alles andere. Eine Gemeinsamkeit haben die beiden Finanzmittel jedoch: Sie bieten Privatsphäre in einer Welt, die durch das Sammeln von Daten verschiedenster Institutionen immer gläserner wird. Sicherlich gibt es gute Gründe, um Geldströme oder andere Daten zu verfolgen. Dass jedes Individuum ein grundlegendes Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit hat, sollte dennoch immer selbstverständlich sein. Diese Freiheit gilt für alle Facetten eines Lebens, auch für Geldgeschäfte.

Ein Fleck auf der weißen Weste, der sich nur schwer herauswaschen lässt.

Halten wir an dieser Stelle neutral fest, dass Kryptowährungen in erster Linie eine anonyme Möglichkeit zum Geldtransfer bieten. Man könnte sie romantisch als eine Insel der Privatsphäre ansehen, in Zeiten, in denen politische Vertreter nach der Digitalisierung von Geld allgemein rufen, das jedoch nur zu deren staatlich und institutionell regulierten Bedingungen.

Genau das jedoch macht nicht den eigentlichen freiheitlichen Kern aus. Warum die Kryptowährungen und dahinterstehenden Blockchain-Technologien so gut ins 21. Jahrhundert passen, hat meiner Auffassung nach einen eher selten erwähnten gesellschaftlichen Aspekt. Kryptowährungen schließen Diskriminierung schon allein durch ihre Beschaffenheit aus. Wir leben in einer Zeit von Wutbürgern, extrempolitischen Tendenzen, Ländern in denen Frauen nicht Auto fahren dürfen, und einer westlichen Welt, die sich rühmt, wie sehr sie Minoritäten unterstützt und demzutrotz Vertreter in Ämtern hält, die massiv Diskriminierung betreiben. Eine Währung, die dezentral organisiert ist, die niemand gehört, aber von jedem benutzt werden kann, läßt sich als klares Statement gegenüber diesen Problemstellungen begreifen. Dass ein Währungssystem außerhalb der bisherigen Regelwerke nur durch die Nachfrage innerhalb der Weltbevölkerung erfolgreich sein kann, ist derzeit nicht der Kerngedanke, der den Erfolg von Bitcoin und Konsorten beflügelt. Was wäre jedoch, wenn er es sein könnte?

Wir leben in einer Zeit von Wutbürgern, extrempolitischen Tendenzen, Ländern in denen Frauen nicht Auto fahren dürfen.

„Millionen von Menschen auf der Welt bekommen kein Bankkonto, weil sie entweder in Regimen leben oder schlicht nicht interessant für das weltweite Bankensystem sind,“ befindet die Bitcoin-Unternehmerin Magdalena Isbrandt. Wer unter staatlicher Suppression leidet, kann noch so bemüht unterstützt werden. Hilfsgelder und vieles mehr werden konfisziert und kommen denen zu Gute, die eine Bevölkerung bluten lassen. Durch die direkte Abwicklung von Transaktionen könnten Spenden jedoch ohne Angst vor Veruntreuung dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Diese Art von direkter Transkation ist natürlich nicht revolutionär in Zeiten von Western Union und Paypal, aber warum prozentuale Gebühren zahlen müssen? Und was ist mit jenen Menschen, die überhaupt nicht über Bankkonten verfügen, weil sich mit ihnen kein Geld verdienen lässt? Wer jedoch seine hochsichere digitale Geldbörse auf dem eigenen Handy verwalten kann, der kann auch direkte Hilfe empfangen. Ein Weg, der in Zeiten von Armutsflucht und stagnierender Politik nicht sinnvoller sein könnte.

Dass direkte Transaktionen neben den positiven Aspekten auch Schattenseiten haben, darf nicht klein geredet werden. Wir befinden uns derzeit in einem schwer entwirrbaren Knäuel von Tokens und Coins, die jeden zum Investieren einladen. So begegnet uns der Terminus ICO in jeder zweiten Youtube-Anzeige und verspricht revolutionäre Technologie dahinter. Dass das eigentlich auf die bereits bekannte Basis des Crowd-Investments zurückgeht, wird dabei gern ausgeblendet. Nicht mehr sexy genug scheint dieses Wort und wahrscheinlich sind die damit verbundenen Möglichkeiten bereits zu reguliert. Trotzdem ist es ohne Frage äquivalent unnütz sich an Coins mit einer schlechten Geschäftsidee zu beteiligen, als würde man eine Firma für genetisch manipulierte, fliegende Elefanten unterstützen. Seltsamerweise ist der Aufschrei im Bereich Kryptowährungs-Investitionen jedoch ungleich größer. Mahnende Worte scheinen nicht erwünscht und dennoch sind sie meiner Meinung nach angebracht. Eine Idee ist nicht per se gut, nur weil sie einen Token beziehungsweise Coin herausbringt. Da helfen auch keine Versprechungen von Reichtum und Sorglosigkeit. In aller Regel Blendwerk, bei dem nichts anderes dahintersteckt als eine moderne Art von Pyramidenspiel. Trotzdem passiert es dann doch regelmäßig, dass hunderte Millionen durch Kryptowährungen eingesammelt werden und am Ende keinerlei Gegenleistung folgt.

Eine Idee ist nicht per se gut, nur weil sie einen Token beziehungsweise Coin herausbringt.

Mit den Träumen von Menschen zu spielen, ist eine der ältesten Methoden unserer Kultur. Die Digitalisierung ist in aller Munde, wir haben sogar eine Ministerin dafür, die von fliegenden Taxis spricht. Was das aber für die breite Bevölkerung bedeutet, weiß keiner so genau. Das macht es leicht, Menschen zu ködern. Schnell verwandelt sich der Sparstrumpf oder das ehemalige Portfolio zu einer Reihe an Coins. Wirklich verstanden wurde hier oft nichts, der große Traum vom Reichwerden verglüht im Bann von Blendgranaten. Dass dieses Phänomen nicht länger nur Kleininvestoren betrifft, stimmt auch, aber kein Mitleid mit denen, die es besser wissen müssten. Ich fühle mit jedem kleinen und großen Investor, der Geld bei einem ICO verliert oder in einer vermeintlich seriösen Kryptowährung. Unterm Strich bleibt das aber alles eine Frage des aufgeklärten rationalen Handelns. Damit gilt für Kryptowährungen und die Investition in diese, das gleiche Regelwerk wie auf jedem Investorenparket: Informieren, lesen, abwägen, prüfen, investieren und nicht durch reine Gier den Absprung vergessen.

TEXT// SÖREN PIOT DE COURCELLES

Unser Gastautor: Unternehmer Sören Piot de Courcelles

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