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Stiller Groove
By Editorial Department access_time 7 min read

Schlicht und einfach. Der 911 Baujahr 1970, auch Urmodell genannt, steht neben dem Museum. Die Schranke öffnet sich und der kleine Blaue mit dem silbernen Kragen rollt hinaus in die Freiheit. Es ist keine Flucht, eher eine Tour in die Gegenwart. Wir führen ihn aus. Ohne Leine, aber mit Umsicht. Er soll wohlbehalten wieder im Museum seinen Platz einnehmen. Den Besuchern seine Geschichte erzählen. Auf der Strasse ist der Sportler noch gesprächiger.

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Als dieser Porsche das Licht der Welt erblickte, gab es kein Museum an diesem Platz. Zuffenhausen sah damals anders aus. Ende der 60er, Anfang der 70er. Porsche war damals ein Sportwagen-Hersteller. Vom SUV war der Autobauer so weit entfernt wie Clint Eastwood von den Brücken am Fluß. Es gab den ersten Range Rover und das war´s dann aber auch schon. Dass 1970 das Thema vier Sitze schon mit Leben gefüllt wurde, ist heute eine Randnotiz. Der C20, ein 2.2 911er mit einem Radstand 2.615 mm steht bei Porsche, nicht im Museum, aber in einem Lagerraum.

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Porsche baute schnelle, filigrane, zuverlässige Zweisitzer mit Boxermotor. Der 911 war fleissig auf Rennstrecken unterwegs, die zweite Ausbaustufe des Urmodells war mit einem 2,2 Liter Motor unterwegs und man wollte den US-Markt mit einem offenen 11er beglücken. Das ging nur mit der Targa-Lösung. Also ein Teil des Daches ist mit ein paar Handgriffen im Kofferraum verstaut. Ein Bügel schützt die Insassen bei einem Überschlag. So wollten und bekamen es die US-Behörden. Der Name Targa leitet sich aus dem berühmten Rennen auf Sizilien, der Targa Florio ab. Porsche baut halt Sportwagen.

Und jetzt rollt der blaue Porsche auf die Strasse. Mitten hinein in den Verkehr der Gegenwart und mit Vollgas in einen Teil des Kopfes, in dem Erinnerungen gespeichert wurden. Jeden Morgen, gegen halb acht, der Schulbus würde in vier Minuten um die Ecke biegen, dieses Geräusch. Damals war Sound noch ein Fremdwort. Jedenfalls, ein Motor startete, kurz vorher das Zuschlagen einer Tür, einer kleinen Tür, dann die Drehzahl auf 2.000, ungefähr. Dann der Vorwärtsgang und übrig bleibt ein Lied, das zwar ein wenig nach dem Käfer von Onkel Karl schräg gegenüber klang, aber nein, das war ein 911, ein Porsche. Der Besitzer muß die Scheibe auf der linken Seite ziemlich oft geputzt haben. Nasen und Finger haben ihre Spuren hinterlassen.

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Man wollte den Tacho sehen, den Drehzahlanzeiger, die ganze Armada an Uhren, Schaltern und überhaupt den kompletten Innenraum. Und dieses Bild nahm man mit nach Hause. Auf dem Bett liegend, die Augen geschlossen und im Geiste drehte man den kleinen Schlüssel im Uhrzeigersinn, der Boxer meldet sich zu Wort. Die Beine sind im Traum lang genug, die Hand kann den schlanken Schalthebel locker bewegen. Kupplung, Gas, 1. Gang hinten links. Der Vater eines Freundes hatte uns das erklärt. Kupplung kommen lassen, leicht Gas geben und dieser kleine, filigrane Porsche trägt den 8-Jährigen hinaus in die Welt.

Jenseits des Auto-Quartetts, jenseits aller Erwachsenen-Sprüche, weit ab von Regenwolken und Rücksitzen, auf denen man Sonntags zur Tante auf´s Land kutschiert wurde. Jetzt war Freiheit angesagt, Tempo und Kurven. Der Drang nach vorn, einem Halbwüchsigen quasi in die Hirnwindungen gelegt, wurde dank der Bilder im Gedächtnis lebendig. Wo wir am Sonntag irgendwann nach links abgebogen, zur Tante mit dem Taschentuch und der obligatorischen Sahnetorte, fuhr ich geradeaus, mitten hinein in eine Mischung aus Kehren, langen Kurven, einer Rennstrecke und einer nicht enden wollenden Passtrasse in der Schweiz. Dieses Auto war ein Zauberer.

Und nun? 46 Jahre später? Wer einen 911 Baujahr 1970 sein eigen nennt, darf sich gleich zweifach freuen. Erstens, weil Porsches dieser Gattung eine beträchtliche Steigerung ihres Wertes erfahren haben und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Reise zu Ende ist, gegen Null tendiert. Und zweitens, weil man einfach den kleinen Schlüssel zur Hand nimmt, den Motor startet und einfach hinaus fahren kann. Die Tante ist eine Erinnerung. Die Torte auch. Aber der 911 lebt. Mit all´ seinen Fertigkeiten. Mitten in Zuffenhausen, der linke Fuß gewöhnt sich recht schnell an die Widerstände der Kupplung, die rechte Hand sucht die Gänge und das wird auch erstmal so bleiben. Der 2.2-Liter Boxer-Motor weiter hinten arbeitet sauber und lange nicht so laut wie spätere Modelle. Der Käfer klingt noch ein wenig durch, aber das ist nicht das Thema.

Das Thema lautet: was macht diesen 911 so begehrenswert?

Es ist die einfache, klare und vor allem zeitlose Sprache dieses Autos. Der Motor, mit 180 PS stark genug für die Rallye-Marken-WM. Das Coupé des 911 S wurde einer Diät unterzogen, mit Plexiglas, Leselampe und so weiter rannte der 2.2 durch Dick und Dünn. Dieser 2.2 kann also was. Der Vorgänger war noch mit Vergaser unterwegs, der 2.2 wird per mechanischer Saugrohreinspritzung auf Touren gebracht. Das Getriebe mit seinen fünf Gängen erlaubt den stillen Grove und den harten Beat. Bis 225 km/h konnte man den S damals treiben, dabei ist die Charakteristik dieses Sportwagens eben eine besondere. Er läßt sich untertourig fahren, dann ist der 911 in Lauerstellung. Die 1100 Kilo Leergewicht und der Radstand von 2.268 mm fühlen sich bei kleiner Fahrt wunderbar bequem und komfortabel an. Die Jungs im Maschinenraum lehnen sich zurück, die Welt ist eine Bühne. Die fünf Uhren schauen hinter dem einfachen Lenkrad hervor, ein winziges Radio könnte jetzt 70er Rock ausspucken. Irgendwas von Led Zeppelin oder Deep Purple. Und dann wäre der rechte Fuß nicht mehr zu halten.low911-targa-1970-heck

 

Der 911 S 2.2 Targa sitzt auf Fuchsfelgen. Ihr Anblick erinnert an Ferdinand Alexander Porsche. Butzi, so wurde F.A. Porsche genannt, hat den Elfer plus seine Felgen gezeichnet. Beides ein Werk für die motorisierte Ewigkeit. Das Urmodell ist noch frei von Spiegeleiern, riesigen Flügeln und einem Hintern so breit, dass einem das Wort Strassensperre in den Sinn kommen könnte. Während der 2.2 mit seiner Lücke im Dach auf einer kleinen Wiese wie ein blaues Blümchen vor sich hin wartet, werden die Bilder von damals wach. Gegen die Phantasie eines 8-Jährigen ist kein Kraut gewachsen, schon gar keine Blümchen. Schlüssel rein, umdrehen, 1. Gang, rauf auf die Landstrasse und aus dem blauen Stilleben wird ein kleiner Wilder. Die Fahrbahn ist trocken, weshalb auch immer, die Bahn ist frei und der 2.2 kann durchatmen, die ersten vier Gänge nahezu ungehindert ausfahren. Die Lenkung ist präzise genug, die Scheibenbremsen sind hellwach und kraftvoll. Der Motor liefert und liefert. Man will und sollte diesen Porsche nicht zu arg fordern. Mensch und Maschine werden älter, Grenzgänger sollten sich eine Rennstrecke mieten. Wir lassen den Boxer in den Ring, allerdings nur für ein paar Minuten. Er singt, er brüllt ein wenig, er freut sich. Jede Kurve wird zum Fragezeichen. „Gefalle ich Dir?“ „Oh ja!“

Genauso stellt sich ein 8-Jähriger die Fahrt in einem Porsche 911 vor. Und jetzt? Mal angenommen, ein 70er Elfer steht in der Garage. Wertvoll, selten, bestens gepflegt, der Händler nebenan klopft regelmäßig an die Tür. Lassen Sie ihn klopfen. Erst dann, wenn Sie keine Fragezeichen mehr mögen, öffnen Sie die Tür. Und noch was. Kontoauszüge können nicht zaubern.

Text: Ralf Bernert /// Fotos: Porsche AG

INFOS

Porsche 911 S 2.2 Targa

Baujahr: 1970

Motor: 6-Zylinder Boxer

Hubraum: 2.195 ccm

Leistung: 132 kW / 180 PS bei 6.500 U/min

Drehmoment: 199 Nm bei 5.200 U/min

Leergewicht: 1.110 kg

Top Speed: 225 km/h

0-100 km/h: 8,0 Sekunden

 

 

 

 

 

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